09.04.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Seien wir doch ehrlich mit uns selbst!

Bernd Kollmetz ist evangelischer Pfarrer der Johanniter Ordenshäuser in Bad Oeynhausen.
Die Spezies Mensch hat es fürwahr weit gebracht. Das, was sich unlängst inden USA abgespielt hat, legt schonungslos das Antlitz der zivilisierten Gesellschaft offen. In Konturen ist zu erkennen, welche Vorstellung sie vom Menschen hat. Mit der Komapatientin ist so umgegangen worden, als handle es sich um einen bloßen »Fall« richterlicher und politischer Entscheidungsprozesse. Und welche Arroganz muss hier im Denken vorliegen, einem Menschen die Grundversorgung vorzuenthalten? Solange der Mensch atmet, ist und bleibt er doch das, was er ist: ein Mensch! Folglich gilt es, ihm gerade in den schwierigsten Stunden seines Menschenlebens die Lebenshilfe nicht zu verweigern.

Womöglich ist der sogenannten humanen Zivilisation das Menschbild bereits weitgehend verlorengegangen. Der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde bemerkt mit Blick auf die zukünftige Entwicklung im allgemeinen Rechtsdenken: »Es kann für die Zukunft, nicht mehr ausgeschlossen werden, dass dem geltenden Recht eine angemessene Vorstellung vom Menschen abhanden kommt.« Die Zukunft scheint bereits Gegenwart geworden zu sein. Wo früher die Gewissheit herrschte, das Ebenbild Gottes zu tragen, ist nun der abgrundtiefe Zweifel aufgetan, vielleicht doch nur ein biologisches Gebilde zu sein. Trotzdem darf dieser Welt die Auferstehungshoffnung zugesagt werden, dass wir vor Gott das bleiben, was wir Menschen vom ersten bis zum letzten Atemzug sind: seine geliebten Geschöpfe.
Übrigens: Wenn wir den Weg der sogenannten Sterbehilfe, sei es passiv, sei es aktiv, schon meinen weitergehen zu dürfen, vielleicht sogar gehen zu müssen, dann sollten wir wenigstens mit uns selbst ehrlich sein, und die vielbeschworene Wahrung der unantastbaren Würde des Menschen zur geistesgeschichtlichen Makulatur zu erklären. Bernd Kollmetz

Artikel vom 09.04.2005