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»Blitzschlag im Kopf« trifft
auch jüngere Patienten

Schlaganfall-Selbsthilfegruppen gründen Runden Tisch

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Sie präsentieren sich in Krankenhäusern, bei Gesundheitstagen und legen Broschüren in Praxen aus. Einmalig in Nordrhein-Westfalen haben sich 56 Schlaganfall- und 16 Aphasikerselbsthilfegruppen im »Runden Tisch OWL« zusammengetan.

Organisiert wird der »Runde Tisch OWL« von Stefan Stricker (Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe in Gütersloh), Volker Runge (Regionalzentrum OWL für Aphasiker in Bad Wünnenberg) und der Bielefelder Logopädin Barbara Schneider. Letztere hat im Auftrag der Deutschen Schlaganfall-Hilfe einen neuen Ratgeber verfasst. Auf 63 Seiten beschreibt die 37-Jährige die »Folgen eines Schlaganfalls« und gibt Angehörigen und Betroffenen Tipps für den Umgang mit dem Blitzschlag im Kopf, der bei 70 Prozent bleibende Schäden hinterlässt. Durch Schlaganfälle können Sprachstörungen (Aphasie), Sprechstörungen (Dysarthrophonie) und Schluckstörungen (Dysphagie) entstehen.
Der »Runde Tisch OWL« setzt auf den Schneeballeffekt: Die Vertreter der Selbsthilfegruppen erfahren von neuen Behandlungs- und Hilfemethoden wie Hirnleistungs- und Gedächtnistraining und tragen sie in ihre Organisationen vor Ort hinein. Die wiederum dienen als Anlaufstelle für neue Betroffene und können zum Beispiel auf die neue Broschüre über Schlaganfall hinweisen, die es für 90 Cent bei der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe (Telefon: 01805093093) gibt.
»Die Kommunikation untereinander ist ein großes Problem der Selbsthilfe«, sagte Volker Runge (35). Netzwerke unter Betroffenen seien um so wichtiger, weil die Beratung der Patienten durch die Überfrachtung der Ärzte mit bürokratischen Aufgaben inzwischen zu kurz komme und Reha-Maßnahmen wegen der finanziellen Probleme im Gesundheitswesen gestrichen würden.
Der Weg in die Selbsthilfegruppe falle schwer, weiß Volker Runge, Linguist in der Aatalklinik in Bad Wünnenberg: »Es ist eine Art Kapitulation. Im Glauben, der Schlaganfall werde wie eine Erkältung wieder weggehen, wird der Schritt hinausgezögert.« Vor allem bei jüngeren Menschen sei die Hemmschwelle groß. Dabei »trifft« sie im Gegensatz zur herkömmlichen Meinung der Schlag genauso wie die Generation ihrer Eltern und Großeltern. »Einen Schlaganfall kriegen nur ganz alte Leute - so ab 29«, greift ein Plakat im Tagungsraum der Lehranstalt für Logopädie in Bielefeld den weit verbreiteten Irrtum auf.
»Die Kombination von Rauchen und Anti-Babypille fördert das Risiko, einen Schlaganfall zu bekommen, genauso wie die Verbindung von Rauchen und Migräne«, weiß Barbara Schneider. Wenn die Mitglieder des »Runden Tisches OWL« vier Mal im Jahr in Bielefeld, Herford und Gütersloh zusammenkommen, sprechen sie untereinander nicht von Kranken, sondern von Betroffenen. Uwe Grefe aus Bad Salzuflen ist zu einem Profi unter den Betroffenen geworden: In dem Buch »3+4=8« beschreibt er die Geschichte eines Aphasikers, geht damit auf Tour und bringt es auf bis zu 120 Lesungen im Jahr. Reinhard Ossig aus Gütersloh wiederum hilft als zweiter Vorsitzender des Landesverbandes der Aphasiker NRW bei der Organisation von Seminaren, die Musik und Gesang zur Therapieunterstützung einsetzen.

Artikel vom 26.04.2005