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Der Papst nimmt sein
Geheimnis mit ins Grab

Theologe Althaus: Testament erlaubt zwei Deutungen

Von Dietmar Kemper
Paderborn (WB). Ob Johannes Paul II. freiwillig aus seinem Amt scheiden oder die Verantwortung allein in Gottes Hände legen wollte, wird wohl sein Geheimnis bleiben. »Beide Deutungsmuster sind möglich«, sagte der Paderborner Kirchenrechtler Rüdiger Althaus am Freitag dieser Zeitung.
Im Jubeljahr 2000 wurde der Papst symbolische 80.

Für die Bereitschaft zum Rückzug spreche die Passage im Testament, in der der Papst auf das Jahr 2000 zurückblickt, betonte der 44-jährige Theologe. Der Übergang der Kirche in ein neues Jahrtausend sei mit dem 80. Geburtstag des Papstes zusammengefallen, und die Zahl 80 habe im Kirchenrecht eine besondere Bedeutung: »Mit 80 Jahren verlieren die Kardinäle in der Kurie ihre Befugnisse; zum Beispiel dürfen sie nicht mehr den Papst wählen.« 80 gelte als Zäsur, als Mahnung, jüngeren, dynamischeren Würdenträgern das Feld zu überlassen. Deshalb, schlussfolgert Althaus, wäre das Jahr 2000 ein plausibler Zeitpunkt für den freiwilligen Rückzug gewesen.
Kanon 332, Paragraf 2 des Kirchlichen Gesetzbuches »Codex juris canonicae« (1983) räume dem Oberhaupt der katholischen Kirche diese Möglichkeit ein. Der Professor der Theologischen Fakultät Paderborn: »Der Verzicht muss frei, also ohne Zwang von außen, geschehen und hinreichend kundgemacht werden, etwa durch eine päpstliche Verlautbarung.« 1294 habe Coelestin V. sein Amt niedergelegt, weil er sich überfordert vorkam und sich zum Einsiedler berufen fühlte.
Gleichwohl gebe es auch gute Argumente dafür, dass Johannes Paul II. ganz auf Gottes Ratschluss vertraute. In seinem Testament berufe er sich auf Simeon, über den im Lukasevangelium erzählt wird. Ihm hatte der Heilige Geist versprochen, erst dann zu sterben, nachdem er den Erlöser gesehen hat. Als es so weit ist, sagt Simeon: »Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren.« Vor dem Schlafengehen werde Simeons Lobgesang jeden Tag im Nachtgebet wiederholt, erläuterte Althaus: »Der Schlaf wird mit dem Tod in Verbindung gebracht; in beiden Fällen geben sich die Menschen vertrauensvoll in die Hände des Herrn.« Angesichts fortschreitender Parkinson-Krankheit könnte der Papst deshalb mit Verweis auf Simeon seinen Erlöser angefleht haben: »Herrgott, ruf mich zu dir, wenn ich nicht mehr kann.«
Für das vertrauensvolle Ausliefern an Gott spricht auch, dass Johannes Paul II. nach dem Attentat vom 13. Mai 1981 überzeugt war, dass ihm die »göttliche Barmherzigkeit« vor dem Tod bewahrt habe und sein Leben fortan Gott »noch mehr« gehöre. Damals hätten die Kardinäle gefürchtet, der Papst werde nicht mehr wach werden, weiß Althaus. Obwohl der Papst laut Kirchenrecht von niemandem gerichtet und abberufen werden könne, hätte das Kardinalskollegium in diesem Fall feststellen müssen, ob Gottes Stellvertreter in »geistige Umnachtung« gefallen ist. Dieses Schicksal blieb Johannes Paul II. erspart. Und die Frage, ob er sein Amt niederlegen wollte, verblasst vor seinem beispiellosen Werk.

Artikel vom 09.04.2005