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Velázquez musste das Bild mit einem seiner Bilder- und Figurentransporte, wahrscheinlich schon von Neapel aus, losgeschickt haben. Für sein persönliches Gepäck war eine so große Leinwand auch in gerolltem Zustand unbequem.Dies alles waren Indizien dafür, dass der Meister, entgegen der gängigen Auffassung, die ÝRokeby-VenusÜ nicht in Madrid, sondern in Rom gemalt haben musste. Dafür sprach nicht zuletzt auch die Art der Leinwand, die mit der des Papstbildes übereinstimmte. Wenn aber Rom der Ort war, an dem die Rückenansicht der Venus geschaffen worden war, dann war es auch der Entstehungsort jenes anderen Aktes, der noch im Zollfreilager in Zürich schlummerte.
Livia hatte indessen der Ehrgeiz nicht weniger gepackt. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, herauszufinden, wer die Schöne in Rom gewesen sein könnte. Mit ihrem Charme hatte sie erfolgreich Bibliothekare und Archivare in ihren Suchtrupp eingespannt. Und sie war fündig geworden. Aber sie hatte beim Wiedersehen nicht umhin gekonnt, Duncan mit ihren Resultaten ein wenig auf die Folter zu spannen.
Dazu arrangierte sie die Kissen auf dem Sofa und platzierte sich darauf, ausgestreckt in der Haltung ihres Venusbildes - bedeckt nur von einem Bademantel. Als Duncan eintrat, freudig strahlte und sie leidenschaftlich mit Küssen zu bedecken begann, bat sie ihn zu seiner großen Überraschung, erst ihr gegenüber Platz zu nehmen.
»Liebling, es ist wie im Märchen«, begann sie froh gestimmt, »nur der Freier, der den Namen der Prinzessin rät, darf sie besitzen.«
»Was soll das?«, erwiderte er schmollend. »Willst du besonders grausam zu deinem Prinzen sein?«
»Nein, Liebster, ich bin krank vor Sehnsucht wie du auch. Doch ich habe aus Rom etwas mitgebracht. Es ist ein Geheimnis. Du musst es erst erraten, damit ich von der Folter der Sehnsucht erlöst werde.« Dabei streckte sie ihr langes Bein aus, sodass der Bademantel rutschte und es bis hinauf zur Hüfte freigab. »Du bist jetzt Diego Velázquez. Sag, wie heiße ich, lieber Diego? Ich, deine Venus?«
Verdutzt sah er sie an. »Meine Venus? Soll das etwa bedeuten, du kennst ihren Namen?«
»Ja. Ich kenne ihn. Er ist es. Mit Sicherheit. Der Vorname beginnt mit ÝFÜ.«
»Francesca É Fides É Felicitas É«, platzte es aus ihm heraus, »Fulvia É Feodora É Fatima É Fornarina - die Letztere war Raffaels Geliebte.«
Doch Livia schüttelte unaufhörlich den Kopf. Resignierend gab er auf.
Sie fuhr mit ihrer Hand den Schenkel entlang, sah ihn aufmunternd an und sagte leise: »Ein altrömischer Name. Eine Römerstraße heißt so, von Rom nach Rimini.«
»Flaminia!«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Ist das Rätsel gelöst? Ist der Bann gebrochen?«
Livias Augen strahlten. Sie nickte stumm.
»Lass dich küssen!«
»Gleich, mein Schatz, gleich darfst du. Willst du denn nicht wissen, wie ich darauf gekommen bin?«
»Oh, du folterst mich, so wie du daliegst. Ich habe nur Augen für dich. Natürlich, erzähl É erzähl É«
»Ich habe bereits in Venedig das Buch des ersten spanischen Biografen von Velázquez, Antonio Palomino Velasco, im Original in die Hand bekommen. Du kennst einige Passagen daraus. Aber Palomino erwähnt tatsächlich eine Malerin namens Flaminia Triunfi als Modell von Velázquez während dessen zweitem Romaufenthalt. Angeblich sogar eine berühmte Malerin«, berichtete sie stolz.
»Ja, das habe ich auch irgendwo gelesen.«
»Palomino war über Velázquez sehr gut informiert; er kam achtzehn Jahre nach dessen Tod nach Madrid und konnte vieles noch von Zeitgenossen des Malers erfahren. Wahrscheinlich stammten seine Unterlagen von Juan de Alfaro, einem Schüler des Meisters, der bereits eine genaue Lebensbeschreibung über Velázquez zusammengestellt hatte.«
»Hast du das Buch entliehen?« Duncan platzte fast vor Neugier.
»Nein. Es wird nicht verliehen. Es ist 1727 erschienen und wurde vor kurzem in einer kleinen Auflage nachgedruckt. Viel zu teuer für unsereinen. Aber ich habe mir alles Wichtige abgeschrieben.«
»Ich frage mich, was sich damit beweisen lässt? Ich erinnere mich, diesen Namen in einigen neueren Abhandlungen über Velázquez gelesen zu haben.«
»Das stimmt. Er wird von einigen Autoren beiläufig erwähnt als Name einer Porträtierten, neben vielen anderen Personen, deren Bildnisse untergegangen sind. Aber ich habe diesen Hinweis ernst genommen und überlegt, dass es zu jener Zeit ja nur eine Hand voll Frauen gab, die es geschafft haben, sich als Malerinnen durchzusetzen.«
»Wirklich nur so wenige in einer so großen Stadt wie Rom?«
»Allerdings. Wahrscheinlich bedingt durch die bedeutenden Auftraggeber und die Accademia di San Luca. Ich habe die wichtigsten Bücher, Aufsätze und Lexika zu den römischen Künstlern des siebzehnten Jahrhunderts durchgeschaut, und da gab es tatsächlich eine junge Malerin, die erstaunliche Aufträge hatte und Flaminia Triva hieß.«
»Und du denkst, das ist dieselbe?«
»Die Auswahl war nicht so groß. Und wenn die zeitgenössischen Italiener über ÝSignore VelascoÜ schreiben, dann kann der Name in VelázquezÕ Notizen gut und gern eine Generation später in Spanien als ÝTriunfiÜ gelesen worden sein.«
»Und wie alt war die Dame?«
»Einundzwanzig. Kind eines Malers, Schwester eines Malers, der bei Guercino mitgearbeitet hatte. Zu Guercino hatte Velázquez bereits bei seiner ersten Italienreise Kontakt gehabt.«
Stolz schwang in Livias Stimme mit, denn der Fund war das Ergebnis feuriger Dispute mit überaus hilfsbereiten älteren Herren. Doch am Ende waren diese von Livias Argumenten überzeugt gewesen.
»Du würdest unsere Venus auch auf Anfang zwanzig schätzen?«
Es war eine rhetorische Frage. Livia nickte.
»Und bist du auch in Neapel fündig geworden?«, fuhr Duncan fort.
»Ja, ganze drei Tage war ich dort. An die Archiv-Unterlagen vom Hof des Vizekönigs kam ich zwar nur in Form weniger Briefe und Rechnungsbücher heran, doch das allein war schon aufschlussreich genug. Die gesamten Bestände durchzusehen ist allerdings eine Arbeit von Jahren. Das ist allein nicht zu schaffen É«
»Wir könnten doch zusammen hinfahren, um auf den Spuren der beiden zu wandeln.« Duncan umschlang sie mit seinen Armen.
»Ich bin noch nicht ganz zu Ende. Was ich dir jetzt zu sagen habe, kommt einer kleinen Sensation gleich. Ich bekam nämlich durch einen der Archivare den Namen eines Spezialisten genannt, eines jungen Universitätsassistenten, der bei der Durchsicht der Auszahlungsvermerke der Finanzkammer auf eine Anweisung gestoßen sei, die Velázquez beträfe. Ich habe ihn aufgesucht, und er will mir das betreffende Dokument schicken. Es handelt sich um eine Geldanweisung aus dem Jahr 1652 für eine Witwe Martha, die als Amme des Kindes Antonio bezeichnet wird, des natürlichen Sohnes des Signore Diego de Velázquez.«
Duncan ließ Livia los und sah sie mit großen Augen an. »Du meinst, sein Aufenthalt in Rom hatte Folgen?«
»Und ob!«
»Weiß man Näheres über diesen Antonio?«
»Das ist nicht erwähnt. Die Amme gehörte zum Kirchenbezirk von Santa Maria in Via. Das ist gleich um die Ecke vom Pamphili-Palast.«
»Gratuliere! Das ist wirklich eine Entdeckung! Und weiß man, was aus der Mutter und dem Jungen geworden ist?«
»Bisher nichts. Aber ich denke, es ist nicht schwierig sich vorzustellen, wer die Mutter gewesen sein könnte. Eine so elegante, hübsche junge Frau lässt nicht einfach so ihre Kleider fallen, um sich malen zu lassen. Es muss da ein anderes, tiefer gehendes Motiv gegeben haben.«
»Für Velázquez?«
»Nein, für sie. Denk an die Zeit, in der das Bild entstand. Das war sicher nicht einfach für die beiden gewesen. Auch nicht im weltläufigen Rom. Frauen waren streng behütet und konnten nicht einfach in der Öffentlichkeit herumspazieren.«
»Sie müssen sich auf besondere Art kennengelernt haben«, mutmaßte Duncan.
»Und es muss Liebe gewesen sein, die sie verband - eine große, tiefe Liebe zwischen Flaminia und Diego.«
»Wenn ich dich so höre und vor allem betrachte, dann kann ich dir nur zustimmen«, sagte Duncan. Als Livia sich daraufhin in ihrem Morgenmantel erneut räkelte, hielt er es nicht mehr aus. »Komm endlich in meine Arme, Flaminia!«, rief er und schloss sie, von Leidenschaft überwältigt, in seine Arme.
Aufgrund von Livias Recherchen hatte sich für Livia und Duncan über die Nachrichten der Bücher hinaus eine deutliche Vorstellung von VelázquezÕ Aufenthalt in der Ewigen Stadt ergeben. Nicht weniger wichtig für die Rekonstruktion der Italienreise des großen Meisters war die Aufgabe, die damaligen Reiserouten und -zeiten herauszubekommen. Doch die genau nachgerechneten Reisedaten und deren Abgleich mit den überlieferten Angaben, beginnend von der Ankunft in Genua Anfang 1649 bis zur Abreise nach Valencia am 25. Mai 1651, machten das Geschehen erstaunlich transparent. Die ÝRokeby-VenusÜ musste demnach in den Sommermonaten des Jahres 1650 in Rom gemalt worden sein. Die ursprünglichen Spekulationen über die Entstehung der beiden Gemälde begannen nach und nach einer schlüssigen Theorie zu weichen.
Wieder und wieder nahmen Livia und Duncan die vorhandenen Fotos zur Hand, um den Vergleich ihres Bildes mit dem in der Londoner National Gallery zu vertiefen. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 27.04.2005