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Forscher entlockt Mordopfer Geheimnis

Unbekannter Toter soll in NRW aufgewachsen sein - Kripo überprüft 30 000 Männer

Von Christian Althoff
Paderborn (WB). Ein Skelett, zwei Kleidungsstücke und ein Paar Schuhe - dreieinhalb Jahre, nachdem Pilzsammler bei Paderborn die Überreste eines Mordopfers gefunden hatten, hofft die Kripo jetzt, den Toten doch noch zu identifizieren. Ein Geochemiker der Uni München kommt zu dem Schluss, dass der Mann in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen ist.

Bei dem Toten handelt es sich um einen Mann, der zwischen 31 und 36 Jahre alt geworden und 168 bis 177 Zentimeter groß war. Er hatte Schuhgröße 42 und ein gepflegtes Gebiss. »Wir nehmen an, dass er im Sommer 2001 erschossen und dann in einen Wald bei Paderborn geschafft worden ist«, erklärte gestern Hauptkommissar Manfred Wowro aus Bielefeld, der die Mordkommission »Sammtholz« leitet. Sie ist nach dem Wald benannt, in dem das Opfer gelegen hatte.
Bereits 2003 hatte eine Wissenschaftlerin der Uni Freiburg anhand des Schädels versucht, das Gesicht des Toten zu rekonstruieren. »Leider hat uns das entsprechende Bild bis heute nicht weitergebracht«, sagte Wowro. 60 Hinweise seien eingegangen, die aber ins Leere gelaufen seien. Um nichts unversucht zu lassen, hatte Wowro schließlich ein Isotopen-Gutachten in Auftrag gegeben. Dabei wird untersucht, welche Umwelteinflüsse (Autoabgase, radioaktive Strahlung, Meeresluft usw.) zu entsprechenden Ablagerungen in Zähnen, Knochen und Haaren geführt haben. Die Zähne geben Aufschluss über die Zeit seit der Kindheit, die Ablagerungen in den Knochen reichen zehn Jahre zurück, und die in den Haaren ein paar Monate. Die ermittelten Werte werden mit einer Deutschlandkarte verglichen, die detailliert Auskunft über Umwelteinflüsse gibt. So gelangte Geochemiker Prof. Dr. Peter Horn von der Uni München zu dem Schluss, dass der Unbekannte seit seiner Kindheit in dem Gebiet gelebt hat, das in etwa von den Städten Bad Driburg, Aachen, Leverkusen und Osnabrück begrenzt wird. Daraufhin prüfte die Mordkommission, in welchen Städten Nordrhein-Westfalens die Kleidungsstücke verkauft worden waren, die der Tote getragen hatte. »Nur in Paderborn, Essen, Gelsenkirchen und Düsseldorf konnte man den C&A-Slip, den Pullover der Marke Gin Tonic sowie die Dockers-Schuhe kaufen«, sagte Wowro. Da die Leiche in Paderborn gefunden worden sei, gehe die Mordkommission von der Hypothese aus, dass das Opfer aus diesem Raum stamme.
Auf Grundlage eines richterlichen Beschlusses wird nun das Paderborner Einwohnermeldeamt die Namen der etwa 30 000 Männer zusammenstellen, die vom Alter her infrage kommen. Durch einen Abgleich mit der Kartei der Landesversicherungsanstalt werden jene Männer herausgefiltert, die Arbeitslohn beziehen. Die übrigen werden mit der Datei des Arbeitsamtes abgeglichen. »Wir hoffen, dass zum Schluss nur 1000 Namen übrig bleiben werden, die wir dann näher überprüfen müssen«, erklärte der Kriminalbeamte.
Zu den Kosten von 10 000 Euro, die das Isotopen-Gutachten gekostet hatte, sagte Paderborns Kripochef Thomas Hochhaus, bei der Aufklärung eines Mordes müssten finanzielle Überlegungen an letzter Stelle stehen: »Hier ist ein Mensch getötet worden, und das ist nunmal eines der schlimmsten Verbrechen.«
Noch nicht erklären können sich die Kriminalisten, warum der Mann bis heute nicht als vermisst gemeldet worden ist. »Möglicherweise lebte er ja zurückgezogen«, sagte Wowro. Denn auch das fand Prof. Horn heraus: Der Unbekannte war so wenig mit Blei aus Autoabgasen belastet, dass er sein Leben »wahrscheinlich im ländlichen Raum« verbracht hatte.

Artikel vom 08.04.2005