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Der erste Blitz, der aus den Wolken fuhr, machte mir schmerzlich bewusst, dass die Zeit der mühelosen Treffen über Nacht beendet war.
Meine Lebensfreude wurde vom Gipfel der Freude in den Abgrund der Trübsal geschleift. In diesem Tal der Tränen, so war mir schnell bewusst geworden, konnte ich nicht existieren. So war es mir ganz recht, dass das zweite Bild bei Flaminia verblieb. Die Farben waren noch nicht ausgetrocknet, so dass es für einen Transport nicht infrage kam. Ich schrieb ihr, dass sie es behalten könne, gleichsam als Versprechen, dass ich sobald wie möglich nach Rom zurückkehren werde.
Zurück blieben auch meine Erinnerungen. Und mein Reisetagebuch, das Juan auf dem Weg durch die Staaten Italiens so vortrefflich geführt und welches ich ihr zur Lektüre gegeben hatte.
Doch Flaminia musste, um sich und ihren Ehebund nicht zu gefährden, die Romanze mit mir auf wenige heimliche Signale beschränken. Es war schlagartig vorbei mit dem herrlichen Paradies, in dem wir zu leben glaubten.
Nur noch zweimal kam ich in ihre Nähe. Doch mehr als einige verstohlene Blicke, hastig gesprochene Sätze und verlegene Gesten waren uns nicht vergönnt. Der einzig mögliche Brückenschlag zu ihr war der Austausch von Briefen. Aus Flaminias Zeilen konnte ich entnehmen, dass es ihr nicht anders erging als mir. Zwar ließ sich die Aushändigung unserer Botschaften mithilfe von Esquivel und Flaminias Zofe meistern, doch jeder sehnsuchtsvolle Satz darin zerriss mir schier das Herz. Ich schrieb ihr:
Meine geliebte Flaminia,
ich fühle mich gemartert durch meine Gefühle für dich. Ich sehne mich so sehr nach dir, und mit jedem Gedanken an dich wächst mein Verlangen ins Unermessliche. Die Zeit ohne dich treibt mich an den Rand der Verzweiflung.
Leider drängt mein König vehement auf meine Rückkehr nach Madrid É Ich kann mich seiner Anordnung nicht ewig widersetzen.
Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.
Dein Diego
Kurz darauf erhielt ich folgende Antwort:
Geliebter Diego,
deine Zeilen stimmen mich unglaublich glücklich und doch wiederum so traurig. Deine Gefühle für mich und deine Liebe zu mir überwältigen mich.
Ich wünsche mir, dass ich dir ebenso zeigen konnte, was du für mich bedeutest. Durch meine Hingabe, meine Zärtlichkeiten, meine Worte und meine Bewunderung für dich.
Ich sehe dich mit den Augen einer Frau, die dich aus tiefstem Herzen liebte und wünsche mir dabei, dass du noch jeden Kuss, jedes Wort, jede noch so zarte Berührung, jede leidenschaftliche Umarmung und jeden der unendlich glücklichen Momente nie vergessen mögest.
Ich bin dir dankbar für den Rosenstrauch der Gefühle, den wir uns in den glücklichen Tagen geschenkt haben. Ich werde die blühende Rose deiner Liebe zu mir für den Rest meines Lebens in meinem Herzen tragen.
Dabei hätte ich diesmal so gern meinen Kopf an deine Schulter gelehnt, dir so gern in dein Gesicht gesehen. Die Erinnerung daran und die Gewissheit um den tiefen Einklang unserer Gefühle werden die Zeit des Wartens auf dich hoffentlich erträglich machen, solltest du dich endgültig entscheiden, nach Madrid zurückzukehren.
Auch ich sehne mich in deine Arme, sehne mich so sehr nach deiner Leidenschaft und Zärtlichkeit.
Ich habe nie einen Mann geliebt wie dich.
Deine Flaminia
Jeder Satz von ihr wühlte mich auf. Mein ganzes Gemüt drängte danach, etwas gegen die in mein Leben hereinbrechende Trostlosigkeit, die Ausweglosigkeit und Leere in meinem Herzen zu unternehmen.
Die drohende Abreise nach Madrid lag wie ein Schatten auf meiner Seele. Obwohl die Briefe immer dringlicher wurden, gelang es mir, die Rückkehr an den Hof Monat um Monat hinauszuzögern. Die schleppende Fertigstellung einiger Gussformen und der Ausfall der Gießerei im Oktober kamen mir dabei gerade recht. Trotzdem flossen die Tage dahin wie das Wasser in den römischen Brunnen, ziel- und zwecklos.
Anfang November signierte ich feierlich die Freisprech-Urkunde meines Dieners Juan Pareja. Seine Rechtschaffenheit hatte dies längst verdient.
Mitte November hielt ich dann den Zustand hoffnungslosen Wartens nicht mehr aus. Ich wollte weg aus Rom. So begleitete ich einen ansehnlichen Tross von Rom nach Neapel, um direkt an Bord der San Martin die seesichere Verpackung und Verladung der Abgüsse, Gussformen und Bilder zu beaufsichtigen. Darin befanden sich auch die Bilder für Don Gaspar de Haro. Darunter - vorsichtig zwischen andere Leinwände eingerollt - Flaminias göttliche Rückenansicht.
Danach entschloss ich mich zur Abreise nach Genua. Meine Mission trieb mich weiter, wenn auch aus einem ganz anderen Grund. Vielleicht wollte ich nur versuchen, zu vergessen É
Im Dezember vergewisserte ich mich bei meinem Freund in Modena, ob der Sinneswandel des Herzogs schon Früchte getragen hatte. Aber einige Bilder, die ich zum Geschenk für König Philipp vorgeschlagen hatte, durfte ich nicht einmal ansehen. Dafür wurde mir das prächtige Schloss Sassuolo gezeigt mit den Fresken von Metelli und Colonna, die mir an den Hof von Madrid folgen werden. Meine großzügige Beauftragung von Agenten hatte aber sonst überall ihre Früchte getragen. Vor allem in Venedig, wo ich wenige Wochen später prächtigste Gemälde von Tintoretto, Palma und Veronese vorgestellt bekam. Ich spürte, dass der Erwerb dieser Schönheiten das Herz meines Königs zum Jubeln bringen und den Groll über mein langes Fernbleiben mildern würde.
Zur gleichen Zeit schrieb mir ein Freund aus Rom, dass Kardinal Carciroli meinem König die Zufriedenheit des Papstes über mein gelungenes Bildnis übermittelt habe. Darin soll er sich auch für meine Aufnahme als Ritter in den Santiago-Orden eingesetzt haben. Das hatte ich mir einstmals so ersehnt, und jetzt wusste ich nicht mehr, ob ich mich darüber freuen sollte.
Anfang des neuen Jahres änderte ich meine Absicht und verblieb zunächst in Venedig, um auf den gleichen Spuren zu wandeln wie damals bei meiner Ankunft in der Lagunenstadt. Maler und Händler Venedigs nahmen mich aufgrund meiner Wahl in die Akademie von San Luca und die Congregazione dei Virtuosi in Rom gut auf. Nichts bewies schlagender, wie außerordentlich hoch mein Ansehen gestiegen war, als der Empfang durch den Dogen Francesco Molin und den Prokurator von San Marco, Silvestro Valier. So suchte ich die Zerstreuung und nahm Einladungen zu Theateraufführungen, Festessen und Ausflügen zu den nahe gelegenen Inseln an. Doch meist war es eine ungesellige, verschlossene und von Einsamkeitsschmerz durchsetzte Zeit.
Gerade in solchen Stunden zog ich immer wieder Flaminías Briefe hervor und meinte ihre Gedanken lesen, ihre Stimme hören und ihre Gefühle spüren zu können. Ich versank in tiefste Schwermut.

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 23.04.2005