19.04.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Nein, nein, Liebste. Natürlich male ich dich ganz. Einen Vorderakt und einen Rückenakt. Das Ganze liegend und stehend. Danach nehme ich die Bilder mit nach Madrid und präsentiere mich damit der Inquisition.«
»Wie grausam. Wenn dem so ist, dann muss ich mich ja verweigern.«
»Tu es nicht! Inquisition hin, Inquisition her, du bist eine einzige Inspiration für mich.«
»Das muss ich mir noch einmal genau überlegen.«
»Oh, bitte, nein! Entscheide dich jetzt!«, flehe ich sie zum Schein an.
»Nur wenn du zärtlich, leidenschaftlich und aufmerksam zu mir bist, werde ich es mir noch einmal überlegen É«
Ich betrachte sie und sehe plötzlich das Bild vor meinem inneren Auge aufblitzen. »Komm!«, flüstere ich und ziehe ihren Kopf nah an mich heran. Ihre Haare fallen über mich und bilden um unsere Köpfe herum einen Vorhang. Darunter blicken wir uns direkt in die Augen. »So wahr unsere Liebe ist, so wahr werde ich dich malen. Ein Bild für dich, eines für mich und eines für die Welt da draußen vor der Tür und damit gleichzeitig für die Ewigkeit.«
Flaminia blickt für einen Moment nachdenklich, dann schenkt sie mir wieder ihr unverwechselbares Lächeln. »Wenn, dann liege ich nur für dich Modell. Die Welt da draußen ist mir gleich - auch die Ewigkeit. Nur du und ich sind wichtig. Wir beide - jetzt und heute É«
»Ich liebe dich, Flaminia«, hauche ich.
Ein heißer Kuss besiegelt unser tiefes Verständnis. Er siegelt auch das Bündnis zweier Maler É

Rom, 21. Juni 1650

W
illkommen im Olymp, wo die Venus wohnt, die du malen möchtest. Es ist alles vorbereitet. So, wie du es dir gewünscht hast«, sagt sie mit einer ausholenden Armbewegung. Ich lasse meinen Blick durch das Atelier schweifen. Rechts neben der Flügeltür ist eine neue Kulisse entstanden. Auf einem breiten, erhöhten Holzpodest liegt ein Berg bequemer Kissen, dazu kostbar gewirkte Tücher und Decken in den Farben Weiß und Graublau sowie ein zusammengerollter großer, karminroter Samtvorhang. Davor steht eine breite, in einem Umbra-Ton grundierte und auf einen Spannrahmen malfertig aufgezogene Leinwand.
Flaminia hat die Bühne geschaffen, auf der die wahre Venus auftreten kann. Ein Schauer mischt sich bei mir mit der lustvollen Spannung auf den erneuten Anblick meiner lebendigen Göttin.
Neben der Staffelei steht ein großer Tisch mit Schalen, in denen die Farben, angerieben von Juan, sowie ein Schälchen mit Leinöl und ein Fläschchen mit Mastixfirnis bereitstehen. Dahinter, an die Wand gelehnt, ein halbes Dutzend weiterer grundierter Leinwände, auf denen ich Flaminias Schönheit in den Darstellungen aller Götterfiguren zu verewigen hoffe. In der Mitte des Tisches das Stundenglas. Dazu meine kompletten Malutensilien, vor allem der borstige Strauß gründlich ausgewaschener Pinsel, die Esquivel schon vor Tagen anlieferte.
Anfangs hatte ich noch gezögert, meine kühne Idee wirklich in die Tat umzusetzen. Flaminia war eine verheiratete Frau, und auch wenn ihr Gatte außer Haus war, so würden doch mein Kommen und Gehen und die ganze Geschäftigkeit, die mit der Ausführung eines solchen Werkes verbunden war, den Augen der Bediensteten nicht verborgen bleiben können. Doch Flaminia hatte sich über all meine Bedenken hinweggesetzt. »Ich will, dass du mich malst«, hatte sie gesagt. »Ich will, dass dieser Augenblick nie endet und dass du ihn einfängst, auf Leinwand in unvergänglichen Farben gemalt. Was uns die Zukunft bringt, ist ungewiss. Darum lass uns jetzt leben und lieben und auf das Geschwätz der anderen keine rote Münze geben.«
Zufrieden lasse ich mich in einen braunen, weichen Sessel fallen, dessen Rücken- und Armlehnen aus feinstem Leder gearbeitet sind, und ziehe Flaminia auf meinen Schoß.
»Das hier ist der beste Platz in Rom für uns und für das, was wir vorhaben!«, sage ich und liebkose ihren Hals. Sie erwidert meine Zärtlichkeit, und es gibt keine Stelle in meinem Gesicht, die nicht von ihren Lippen bedacht wird. Ich spüre ihre Wärme durch ihr Kleid und möchte sie am liebsten hinüber auf das Podest tragen. Ich streichle ihre bloßen Schultern und verzehre sie mit meinen Augen.
Flaminia beobachtet meine Hand und das Spiel meiner Finger auf ihrer Haut. Dann fängt sie spielerisch meine Finger mit ihrer Hand und blickt mich an.
»Großer Maler, was hat dich eigentlich vor zwanzig Jahren nach Rom geführt? Wissbegier, Ehrgeiz oder Neugierde? Oder auch schon ein königlicher Auftrag?«, fragt sie mich unverhofft.
Ich zögere. »Das ist eine Frage, Liebste, über die ich erst nachdenken muss. Ich glaube, ich wollte von den römischen Malern das lernen, was ich noch brauchte, um in Madrid allen voraus zu sein. Ich betrachtete Roms Antike und die Werke von Raffael wie ein eroberungswilliger Liebhaber.«
»Oh, ich hoffe, das ist vorbei, und du betrachtest jetzt nur noch mich!«, versetzt sie und knufft mich in die Seite.
»Nur dich, ganz allein dich. Ich schwöre es bei Jupiter!«, versichere ich und setze mein Streicheln fort. Wiederum fängt sie meine Finger zärtlich ein.
»Verrate mir bitte, was hast du damals aus Rom mitgenommen?«
»Damals? Sicher die neuentdeckte Freiheit zum Malen in hellen Farben. Seitdem verwende ich die Farben viel lockerer und als eine Schmeichelei für die Augen. Doch damals habe ich auch etwas dagelassen.«
»Da bin ich aber neugierig. Was denn?«
»Meine sonst tiefen, scharf abgesetzten Schatten, überhaupt die trübe Dunkelheit meiner früheren Bilder. Diese braunen und schwarzen Nachtgespenster war ich los. Dagegen finden die finsteren Heiligen meines Freundes Ribera und die düsteren Mönche des Zurbaràn immer noch ihre Fortsetzungen.«
»Hast du danach in Madrid Entsprechendes gemalt?«
»Ja, sogar schon damals in Rom. Zwei riesige Leinwände sind aus meinem neuen Antrieb entsprungen. Ich habe in zwei großen Bildauftritten die Schmiede des Vulkan und den blutigen Rock Josephs dargestellt. Beide handeln von der Wahrheit, die man mit den Augen nicht feststellen kann. Einmal wird der entlarvte und das andere Mal der gelungene Betrug dargestellt. Ich bin stolz auf diese beiden Bilder.«
»Schade, dass ich diese Gemälde nicht sehen kann. Sie müssen wunderschön sein. Und was wirst du diesmal in Rom zurücklassen?«, fragt sie hartnäckig.
»Diesmal? Ich bin doch noch hier, mein Engel, und das hoffentlich noch sehr, sehr lange É«, erwidere ich und knabbere zärtlich an ihrem Ohr. Flaminia wickelt derweil meine langen Haare, die mir kegelförmig über die Schläfen fallen, um ihre Finger. »Vielleicht werde ich überhaupt nicht mehr gehen, sondern bleiben.«
An die von meinem König unterzeichnete Anweisung, der meine sofortige Rückkehr nach Madrid gefordert hat, will ich in diesem Augenblick nicht denken, obwohl ich bisher immer die Order des Königs genauestens erfüllt habe.
Stumm blicken wir uns in die Augen. Behutsam löse ich das Band aus ihrem Haar. Unsere Lippen nähern sich spielerisch tastend. Plötzlich löst sie sich und haucht: »Warte, es ist nur für einen kleinen Moment!«
Sie eilt hinter den Paravent, über den ich ihre anmutige Haarfrisur auf- und abtauchen sehe, während ihre Kleider zu Boden fallen.
»Liebster, schließe bitte deine Augen. Gleich kannst du sie wieder öffnen.«
Ich höre das Trippeln ihrer Füße, ein Quietschen des Holzpodestes und schließlich ihre Stimme: »Öffne deine Augen, Liebster!«
Was ich erblicke, lässt mir das Herz bis zum Halse klopfen. Der Anblick einer makellosen nackten Frauengestalt, ein Bild vollkommener Schönheit.
Meine Geliebte lagert selbstvergessen auf den hochgeschichteten Kissen. Halb seitlich, halb auf dem Bauch liegt sie da, den Rücken mir zuwendend und den Kopf in die Armbeuge gedreht, mit dem Gesicht zu mir. Sie hat sich in die sanft schlummernde Venus verwandelt.
Der in sanfter Biegung durchgehende Schwung ihrer Kontur und die Harmonie ihrer Glieder machen ihre Erscheinung zu einem Inbegriff von Anmut. Schön ist sie, schöner als die kalten, dickschenkligen und dickarmigen Marmorfrauen der Griechen! Ihr rechtes Bein ist durchgestreckt und bildet von der Hüfte an eine anmutig durchlaufende Linie. Das linke ist leicht angezogen; der Fuß liegt spielerisch auf der rechten Wade.
»Ich danke den Göttern, dass du aus Fleisch und Blut bist. Kein kalter Marmor. Du bist die wahre lebende Venus. Schöner als alles, was ich je zu Gesicht bekommen habe É«
Für einen Moment sehe ich sie wie ein Leinwandbild mit den Augen des Malers. Das Sonnenlicht draußen wird von den Blättern der Äste reflektiert und zeichnet, gebrochen durch die Fenstergläser, verführerische weiche Muster auf ihre Haut. Ich erlebe ihre Verwandlung in schillernde Farbensüße und zugleich die maßlose Wonne ihrer Nacktheit und Nähe. So zieht mich ihre Verwandlung unwiderstehlich hinüber zum Podest.
Die Sehnsucht ist gegen das Vergessen É »Lass uns alles erleben - damit wir leben«, sage ich leise. Hastig streife ich meine Kleider ab. Zwei Herzschläge nur bis zum nächsten Kuss. Ich springe geradezu aus meiner Haut, aus Rücksichten und Ängsten, und dafür hinein in ihre Liebe, Süße und Begehrlichkeit. Wir umarmen, umklammern uns, halten uns an allem fest, verschlingen uns gegenseitig in einem Sturm maßloser Begeisterung. Kissen, Laken rutschen, und Flaminias Bettstatt schwankt, doch sie trägt unser stürmisches Glück wie der Baum das Nest auf seinem Ast.(wird fortgesetzt)

Artikel vom 19.04.2005