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Mehr Kinder müssen her

Tagung »Demografische Alterung und Gesundheit«


Bielefeld (sas). Die Struktur der häufigsten Krankheiten und der Pflegebedarf werden sich in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten drastisch ändern: Die Gesellschaft wird alt. Mit der Frage, wie man das Gesundheitswesen darauf vorbereiten kann und wie dies zu bezahlen ist, befasst sich seit gestern die Tagung »Demografische Alterung und Gesundheit«. Veranstalter sind die Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität, Institut für Bevölkerungs- und Gesundheitsforschung, und das Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (lögd).
Ab 2013, so Prof. Dr. Ralf E. Ulrich, werde in Deutschland der Bevölkerungsrückgang einsetzen. Seit den 70er Jahren ist die Geburtenquote geringer als die Sterbequote, die Zuwanderung fing diesen Trend bisher ab. »Um jetzt einen Rückgang der Einwohnerzahl zu stoppen, müssten jedes Jahr 500 000 Menschen zuwandern - mehr, als wir integrieren können«, betont Ulrich.
Nun wären »mehr Platz für alle« und weniger Staus ja vielleicht angenehm. »Das Problem liegt aber - neben dem Nachfrage-Rückgang - in der Alterung.« Zu wenige Berufstätige müssten zuviele Junge und vor allem Alte versorgen. Dabei sind die Kosten für Krankheit und Pflege nur das Eine: Denn die sind in den letzten Lebensjahren am höchsten - egal, ob jemand 60 oder 90 wird. Das Problem sind die Rentenkassen. Derzeit sind 44 von 100 Bundesbürgern über 60. 2050 werden es 78 sein. »Ziel muss also sein, das Renteneintrittsalter auf jeden Fall auf 65 festzulegen«, sagt Ulrich. Ziel müsse zudem und vor allem sein, das Kinderkriegen attraktiv zu machen - weniger durch die Rahmenbedingungen: »Wichtiger noch ist ein Umdenken, ein Verankern des Kinderwunsches in grundsätzlichen Werten.«
Dagegen, Altern nur als Problem zu sehen, wendet sich Dr. Helmut Brand vom lögd: Zum einen, weil die jetzige und künftige Generation 60 plus zahlungskräftig ist. Zum anderen, weil Deutschland früher als andere einen Prozess durchläuft, der wohl alle Länder ereilen wird. »Wir können uns darauf vorbereiten. Und die Gesundheits- und Seniorenwirtschaft verbrennt nicht nur Geld, sie schafft auch Arbeitsplätze und Innovationen.«
Wie Produkte für Menschen jenseits der 70 beschaffen sein müssen, verdeutlicht am Rande der Tagung ein »Age Explorer«: ein Anzug, der Bewegung, Lesen, Hören, Greifen beschwerlich macht und körperlich beeinträchtigt. Junge Produktdesigner werden gerne hineingesteckt, damit sie am eigenen Leib erfahren, wie die Kunden von morgen, die Älteren, mit ihren Entwicklungen klar kommen - oder auch nicht.

Artikel vom 08.04.2005