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20 Stunden anstehen für Sekunden des Abschieds

Mehr als vier Millionen Menschen werden in der Ewigen Stadt die Beisetzung des Papstes verfolgen

Aus Rom berichtet Oliver Kreth
Rom (WB). Sie hat Nero und den Duce überstanden. Auch von Touristenströmen hat sich die Stadt am Tiber nicht wegschwemmen lassen. Doch die aktuelle Belastung würde selbst Rom nicht ewig aushalten.

Zwar schwanken die Zahlen über die Trauer-Pilger, die sich bis heute in der katholischen Welt-Hauptstadt einfinden werden. Vier Millionen waren es bis gestern. Bis zur Beisetzung werden es noch mehr. Denn schließlich herrschte rund um den Vatikan das komplette Chaos, nachdem der Körper von Johannes Paul II. aus dem »Sala Clementina«, wo sich nur Vatikanangehörige und italienische Politiker vom Papst verabschieden durften, in den Petersdom gebracht wurde.
Bis zu 20 Stunden lang standen die Menschen seit Dienstag in einer fast zehn Meter breiten Schlange, die bis nach Florenz zu reichen schien. Innehalten am aufgebahrten Pontifex war nicht möglich: Das Wachpersonal achtete auf die strikte Einhaltung des Tränen-Trauer-Flusses.
Doch das alles bremst den Zustrom nicht. Allein am Mittwoch wurden 500 000 Menschen registriert, die in der »ewigen Stadt« eintrafen. Mit Auto, Bus oder Bahn. Der Zivilschutz hatte am Mittwochabend entschieden, keine weiteren Gläubigen mehr zu der Schlange zu lassen. Und irgendwie wäre es keine italienische Geschichte, wenn alles klappen würde. So gab es natürlich Probleme mit den Sonderzügen, und auch auf dem vor den Toren der Stadt eingerichteten Massen-Camping-Platz sind die Zustände nicht wirklich menschenwürdig.
Das interessiert die Gläubigen und Spektakel-Junkies genauso wenig wie die Frage, welchen Anforderungen ein »Papabilli« (so heißen die Papst-Nachfolgekandidaten in Italien) genügen muss, um als Nachfolger von Karol Wojtyla gewählt zu werden. Ob er ein Italiener sein muss oder zumindest ein Europäer, aus Lateinamerika oder Afrika, ein Traditionalist oder Reformer, ein Übergangspapst oder doch wider Erwarten ein Jüngerer? Die Wenigsten diskutieren darüber, wie viele der 117 abstimmungsberechtigten Kardinäle vom Verstorbenen ernannt worden waren, in der Schlange schwankten die Zahlen um 110, und ob das die Wahrscheinlichkeit für die Fortsetzung seines (nicht unumstrittenen) Weges erhöhen würde oder eben das genaue Gegenteil. Und inwieweit sich das 1996 geänderte Papst-Wahlrecht auswirkt - kein Thema.
Und nicht nur rund um den Vatikan ist die Gegenwart spannender als die Zukunft. Dabei reagieren die Italiener durchaus unterschiedlich. Meist gelassen. So sind nicht überall die Flaggen auf Halbmast gesenkt. Zwar nahm der Sport am Wochenende nach dem Tod von Johannes Paul II. eine Auszeit, doch mittlerweile geht außerhalb Roms das normale Leben weiter. Bis auf eine Ausnahme: Wegen der heutigen Trauerfeierlichkeiten wurden aus ganz Italien Polizeikräfte in Rom konzentriert. Schließlich will man angesichts von 200 Staatsgästen kein zweites Attentat auf dem Petersplatz riskieren. Das freut die heimischen und zugereisten Lamborghini-Fahrer und wahrscheinlich auch die richtigen Kriminellen.
Schon etwas abseits der Zentrale des KatholizismusÔ geht das normale Leben weiter. Auch nachts. Florentina Piatelli, 26 Jahre alt, aber auf 20 getrimmt, ist ein Beispiel für die Ambivalenz der Römer zum ersten Nicht-Italiener seit knapp 460 Jahren auf dem Thron Petri. Katholisch logisch, Kommunion klar, aber dann bricht das Bild. Keinen Sex vor der Ehe - nein, ohne Pille - auf gar keinen Fall. Und natürlich wird sie erst im Beruf Erfolge anstreben, bevor sie sich den Ämtern Ehefrau und Mutter widmen wird. Doch für einen kurzen Moment wird auch sie, die sich kürzlich im »Caesare« noch die Seele aus dem Leib tanzte, heute des Verstorbenen gedenken.
Doch einem Teil der Italiener geht das ganze Spektakel, das in den letzten Tagen vor dem Tod des Pontifex gespenstisch an die öffentlichen Auftritte des Politbüros auf dem »Roten Platz« erinnerte, zu weit. Ein Teil der Bevölkerung ist während der Trauertage nach Salzburg ausgewandert. Und der Verstorbene hätte dennoch sicher Gefallen an ihnen gefunden, denn sie leben sein Motto: »Habt keine Angst.«

Artikel vom 08.04.2005