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Ministerin lässt Boykott zu

Lehrer kritisieren Ausnahmeregelung bei Klassenfahrten in NRW

Von Monika Schönfeld
und Ernst-Wilhelm Pape
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). In Nordrhein-Westfalen können sich Eltern aus religiösen Gründen weigern, ihre Kinder auf Klassenfahrt zu schicken, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Die Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) hat diese Regelung kritisiert.

Im Hinblick auf die Zwangsmaßnahmen, die zum Beispiel in den Kreisen Paderborn und Höxter gegen hartnäckige Schulverweigerer ergriffen werden, müsse die entsprechende Formulierung in den Richtlinien für Schulwanderungen und Schulfahrten zumindest überdacht werden, sagte VBE-Vorsitzender Udo Beckmann aus Bad Wünnenberg (Kreis Paderborn) gestern dieser Zeitung. NRW-Schulministerin Ute Schäfer (SPD/Lage) lasse derzeit eine Aufweichung zu, die nicht im Sinne der Schulpflicht sei.
Nach den Richtlinien sind Schülerinnen und Schüler grundsätzlich zur Teilnahme an Wanderungen und Fahrten verpflichtet, da es sich um Schulveranstaltungen handelt. Die Ministerin lässt aber eine Befreiung von der Teilnahmepflicht zu. Eltern müssen nur einen schriftlich begründeten Antrag vorlegen. »Bei mehrtägigen Veranstaltungen wird die Befreiung erteilt, wenn die Erziehungsberechtigten auch nach einem Gespräch über Ziele und Inhalt der Klassenfahrt aus religiösen oder gravierenden erzieherischen Gründen bei ihrem Antrag bleiben«, heißt es in den Richtlinien.
Bisher habe Ministerin Schäfer nicht erläutert, was unter gravierenden erzieherischen Gründen zu verstehen ist, sagte Beckmann. Das Ministerium betone immer wieder, dass Klassenfahrten zur Stärkung des Gemeinsinns und der sozialen Kompetenz wichtig seien. Diese Maßgabe werde von der Ministerin selbst unterlaufen. Die Schule habe keine rechtliche Möglichkeit, die Kinder zur Teilnahme zu verpflichten. Dem Missbrauch seien Tür und Tor geöffnet.
Wenn sich zum Beispiel in Klassen mit hohem Aussiedleranteil viele Eltern aus religiösen Gründen weigerten, ihre Kinder auf Klassenfahrt zu schicken, machten diese notwendigen Schulveranstaltungen keinen Sinn mehr, sagte Beckmann. Dies dürfe im Sinne der anderen Mitschüler nicht weiter hingenommen werden.
Heinz Hildmann, Schulleiter der Lisa-Tetzner-Schule, einer Hauptschule in Schloß Holte-Stukenbrock (Kreis Gütersloh), kritisiert den »Rückzug des Ministeriums«. Er und zwei weitere Hauptschulleiter in NRW hatten die bisherige Regelung, dass Klassenfahrten als schulische Veranstaltungen verpflichtend seien, rigoros durchgesetzt, indem sie nach dem Gesetz vorgegangen sind. Dafür habe Hildmann immer die Rückendeckung der Schulaufsichtsbehörde des Kreises Gütersloh gehabt.
»Der neue Erlass führt zu ständigen Turbulenzen. Ich ärgere mich jedes Mal, dass ich diese Gespräche führen muss, obwohl ich weiß, was dabei herauskommt. Den Eltern wird es zu leicht gemacht. Sie führen Glaubensgründe an, können konkret aber nicht sagen, worin die Verletzung ihrer religiösen Gefühle bei dieser Klassenfahrt liegen sollen. Die anderen Schüler werden als Kinder der Sünde bezeichnet.« Bei jeder Klassenfahrt habe er vier bis fünf Fälle dieser Art zu bearbeiten. »Das Verfahren kostet viel Nerven.«Seite 4: Kommentar
Nordrhein-Westfalen

Artikel vom 08.04.2005