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»Kind in mir ist entzückt«

Literaturnobelpreisträger Saul Bellow ist gestorben

Großer Romancier und ein ebenso großer Spötter: Saul Bellow.Foto: dpa

New York (dpa). Er war einer der Größten und zugleich einer der größten Spötter der amerikanischen Literatur. Oft machte sich Saul Bellow, der gestern im Alter von 89 Jahren starb, über die Sinnsuche seiner fiktiven Helden lustig. Ironie gehörte so sehr zu Bellows Methoden der Kritik, dass er nicht einmal darauf verzichten mochte, als ihm 1976 der Literatur-Nobelpreis verliehen wurde. »Das Kind in mir ist entzückt«, begründete Bellow die Annahme der hohen Auszeichnung.
Einer, der den Nobelpreis bekam und trotzdem nicht sicher war vor Bellows Spott, hieß Ernest Hemingway. Ihm verpasste Bellow mit der Figur des Eugene Henderson in seinem 1959 erschienen Roman »Der Regenkönig« einen Seitenhieb. Henderson ist ein schwärmerischer Violinist und ein Schweinefarmer, den seine innere Stimme zu einer geistigen Kur ins Herz Afrikas lockt, für das Hemingway stets schwärmte.
Ungeachtet seiner Bedeutung für die Entwicklung der Schreibkunst hat Bellow keine solche Popularität genossen wie seine amerikanischen Nobelpreis-Vorgänger William Faulkner, John Steinbeck und Hemingway. Auch den Kultstatus eines Norman Mailer erreichte er nicht, wenngleich Philip Roth lobte, Bellow bilde zusammen mit Faulkner das »Rückgrat der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts«.
Geschert hat sich Bellow allerdings nur selten darum, ob ihn jemand lobte oder tadelte. Empört wies er zudem alle Versuche zurück, ihn zu kategorisieren.
Wäre es nach seiner Mutter gegangen, hätte die Welt auf einen Schriftsteller verzichten müssen, der zeigte, wie dröhnender Boulevard und feiner Intellekt in ein und demselben Buch eine wunderbare Stilehe eingehen können. Die strenggläubige Lisa, die mit ihrem Mann Abram aus Russland nach Kanada einwanderte und in einem Arbeitervorort von Montréal Solomon Bellow zur Welt brachte, wollte aus ihrem vierten Kind einen Rabbi machen.
Schon mit acht Jahren, als er wegen einer Atemwegsinfektion ans Bett gefesselt war und »Onkel Toms Hütte« las, soll Bellow sich über seine Berufung klar geworden sein. Ein Glück, sagen seine Fans, denn sonst wäre die Literaturwelt nie durch seinen unverkennbaren Stil bereichert worden, jene Mixtur von Edel- und Einfachheit, von hoher Philosophie, genial anmutenden Geistesblitzen und vulgärer Kneipensprache. Kurz nach seiner Genesung zog die Familie nach Chicago.
So wichtig die Helden seiner berühmteren Bücher wie »Herzog« oder der Nobel- und Pulitzerpreis-geadelte Roman »Humboldts Vermächtnis« auch sind, die Schlüsselfigur zum Verständnis Bellows bleibt Eugene Henderson in »Der Regenkönig«. In diesen wirren Weltverbesserer hat Bellow mehr von sich selbst hineingeschrieben als in jede andere seiner Figuren.

Artikel vom 07.04.2005