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Ein eisenharter Weg zurück

Union Berlin: sportlich nur noch Oberliga, musikalisch nationale Spitze

Von Dirk Schuster
Berlin (WB). Nur mal angenommen: Würden statt Toren und Punkten Stadionatmosphäre und Vereinstreue der Fans über Sieg und Niederlage, Auf- und Abstieg entscheiden, der 1. FC Union Berlin hätte einen Stammplatz im bezahlten Fußball sicher. Ganz zu schweigen von der Hymne. Nina Hagens »Eisern Union« beschert dem Ostberliner Traditionsklub seit 1998 Platz eins in den nationalen Stadion-Charts.

Ein Jammer, dass mit dem 1. FC am Saisonende nicht nur das beste Vereinslied im deutschen Fußball, sondern auch der Kultverein aus dem Berliner Osten in der Bedeutungslosigkeit, der NOFV-Oberliga Nord, verschwindet.
Nina Hagens Stimmgewalt auf der Melodie der russischen Nationalhymne - so ähnlich muss man sich das beste Stück dieses Fußballvereins vorstellen. Und der Text? Einfach zu merken, gut zum Mitsingen. Stadiontauglich. »Wir aus dem Osten geh'n immer nach vorn, Schulter an Schulter für Eisern Union. Hart sind die Zeiten und hart ist das Team, darum siegen wir mit Eisern Union.«
Hart sind die Zeiten, das kann man wohl sagen. Union Berlin ist hoffnungslos abgeschlagen Tabellenletzter und steht mit den Amateuren von Arminia Bielefeld als Regionalliga-Absteiger fest. Und das, obwohl Ex-Arminia-Amateur Ryan Coiner mit bisher zwölf Saisontoren (von 27 insgesamt) die in ihn gesetzten Erwartungen sogar übertroffen hat. Kein Unioner traf häufiger als er. Jetzt steht der US-Boy vor einem Wechsel zu Holstein Kiel.
In Ostberlin weiß jeder, dass die kommende Oberligaspielzeit eine der schwersten der 99-jährigen Klubgeschichte wird. Erst vier Jahre ist es her, seit die treuen Anhänger ihre Mannschaft noch zu den Europapokalspielen bei Haka Valkeakoski und FC Lowetsch begleiteten. Die »Eisernen« hatten über die DFB-Pokalfinalteilnahme 2001 den internationalen Wettbewerb erreicht, in der 2. Bundesliga mischten sie im oberen Tabellendrittel mit. Jetzt stehen Duelle gegen MSV Neuruppin und Yesilyurt, gegen Anker Wismar und die Amateure von Energie Cottbus bevor. Für die Fans der Unioner ein emotionales Dilemma.
Der Abstieg wirft den Klub zurück in die Jahre kurz nach der Wende, sozusagen in die Fußball-Steinzeit. Apropos Steinzeit: Das Errichten einer neuen Haupttribüne und die Überdachung der Stehplatzränge sind beschlossen. Mit den Bauarbeiten soll noch in diesem Jahr begonnen werden.
Für 75 Euro kann nun jeder Union-Anhänger einen Stein kaufen, mit einer Gravur versehen lassen und diesen persönlichen Beitrag zum Stadionumbau dann im »Tunnel of fame« wiederfinden, dem Zuschauertunnel im Stadion An der Alten Försterei. Mit Steinen Kies machen - Union ist nicht nur in puncto Stimmung auf seine treuen Fans angewiesen.
In der Oberliga kalkuliert Berlin mit einem Schnitt von 3000 Fans. Fast 5000 kamen diese Saison zu den Heimspielen in die Wuhlheide. »Wenn ich bedenke, dass mehr als 3500 Zuschauer unser Heimspiel gegen Arminia Bielefelds Amateure gesehen haben«, sagt Trainer Frank Lieberam, »dann finde ich das sensationell.« Und der 42-Jährige verspricht: »Wir werden alles dafür tun, eine Mannschaft aufzubauen, die in der neuen Saison häufiger Erfolge einfährt als das in dieser der Fall ist.« Das sollte nicht zuletzt angesichts eines vorgesehenen Etats von 1,6 Millionen Euro auch möglich sein.
Ein Gutes hat der Abstieg der Eisernen: Es gibt wieder ein Derby gegen Dynamo, den BFC, den Erzfeind der Eisernen, den »Mielke-Klub«, wie Union-Anhänger den Ostberliner Stadtrivalen heute noch nennen. Doch für Union zählt nicht nur dieses Duell, für Union zählt der Wiederaufstieg.
Dafür wird sogar Daniel Teixera zurückgeholt. Der Brasilianer ballerte Union 2001 zum Zweitligaaufstieg, kickt in dieser Saison für RW Essen. Ein 37-Jähriger als Glücksbringer.
Den BFC Dynamo vor Augen, Dynamo Dresden im Hinterkopf: Aus dem Rivalen der Vorzeit ist inzwischen ein Vorbild für den 1. FC geworden. Auch dieser Traditionsklub fiel tief, arbeitete hart und kletterte Schritt für Schritt wieder nach oben. Immerhin bis in die 2. Liga hat es Dresden geschafft. Für Union noch ein eisenharter Weg.
Aber zum Trost haben die Köpenicker einen Titel ja schon sicher. Denn auch in der Oberliga wird sich keine Hymne finden lassen, die besser klingt als »Eisern Union«. Berlins Fans müssen sich an kleine Erfolge eben gewöhnen.

Artikel vom 14.05.2005