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Jeder Fünfte am Bau illegal

Gewerkschaft stellt Anzeige gegen Bundeswirtschaftsministerium

Von Bernhard Hertlein
Bielefeld/Frankfurt (WB). Die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) will der meist untertariflichen Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer auf dem Rechtsweg Einhalt gebieten. Gestern wurde in Frankfurt (Main) Klage gegen das Wirtschaftsministerium eingereicht.

Nach Darstellung des hessischen Landesverbandes der IG BAU entlassen derzeit Baukonzerne wie Strabag und Züblin im Rhein-Main-Gebiet massenhaft Beschäftigte, um sie durch so genannte »Kontingentarbeitnehmer« beispielsweise aus Polen zu ersetzen. Dabei handelt es sich um Arbeitskräfte, die bis zu einer vertraglich festgelegten Höchstzahl (»Kontingent«) zur Ausführung von Werksverträgen in Deutschland beschäftigt werden dürfen. Ansonsten bleibt der deutsche Arbeitsmarkt für die Dauer von fünf bis sieben Jahren nach dem EU-Beitritt abgeschottet.
Bestandteil der Werkvertragsübereinkommen mit Polen, Rumänien, Kroatien, der Türkei und einigen anderen Staaten ist, dass die Arbeitnehmer nach dem hier üblichen Tarif bezahlt werden. Für die Bauwirtschaft gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn von 12,47 Euro pro Stunde. Tatsächlich aber, so die IG BAU, werden oft 7,50, ja sogar nur 4,50 Euro an die ausländischen Arbeitnehmer ausgezahlt.
»In dieser Hinsicht unterscheidet sich Ostwestfalen-Lippe nicht von dem Rhein-Main-Gebiet«, stellte Jürgen Lechtenbörger, Bezirksgeschäftsführer der IG BAU in Bielefeld, gestern im Gespräch mit dieser Zeitung fest. Er schätzt, dass jeder fünfte Bauarbeitnehmer illegal beschäftigt ist. Beim Bau einer Turnhalle in Minden habe die Gewerkschaft kurz davor gestanden, Klage gegen die Stadtverwaltung einzureichen. Im letzten Augenblick habe diese dann doch auf die zu Dumpinglöhnen arbeitenden polnischen Kräfte verzichtet. Lechtenbörger: »In Gütersloh wollte ein Bauunternehmer kürzlich die eigenen Beschäftigten in Kurzarbeit schicken und die Aufträge billiger arbeitenden Subunternehmen übertragen.«
Nach Darstellung des Bielefelder Gewerkschafters werden die gesetzlichen Bestimmungen unter anderem dadurch umgangen, dass die ausländischen Beschäftigten zusätzliche Stunden unbezahlt arbeiten oder überhöhte Mieten für ihre Unterkunft bezahlen müssen.
Deutschlandweit hat das Bundeswirtschaftsministerium 26 000 Kontingentarbeitnehmer für den Bau bewilligt, obwohl, laut IG BAU, das vorhandene Angebot an Fachkräften absolut ausreiche. Die Gewerkschaft bewertet dies als »Beihilfe zur Schleusung von illegalen Beschäftigten« und hat deshalb Anzeige bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft gestellt. Da außerdem viele Bauarbeiter länger als die zugelassenen sechs Monate beschäftigt würden, seien zusätzlich der Straftatbestand der Steuerhinterziehung und des Sozialversicherungsbetrugs erfüllt.
In Ostwestfalen-Lippe ist die Zahl der legal im Bauhauptgewerbe Beschäftigten in den vergangenen Jahren immer weiter auf jetzt noch 12 000 zurückgegangen. Sprecher der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen und der OWL-Handwerkskammer wollten gestern zu der Klage der IG BAU in Frankfurt keine Stellung nehmen. Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 07.04.2005