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»Die Leute werden nur lachen«

Grimme-Preisträgerin Charlotte Roche geht auf Lesereise -ĂŠAuftritt im Kamp

Bielefeld (WB). Noch vor einem guten Jahr war Charlotte Roche das Gesicht des Fernsehsenders Viva. Mittlerweile ist die Sendung abgesetzt und die Grimme-Preisträgerin geht zusammen mit Heinz Strunk auf Lesereise. Am Freitag ist sie in Bielefeld im JZ Kamp. Vor ihrer Reise hat WB-Mitarbeiter Thomas Bertz mit Charlotte Roche gesprochen.

Ein gutes halbes Jahr nach Ihrem unfreiwilligen Abschied bei Viva: Wie sehen sie die deutsche Musikfernsehen-Landschaft? Charlotte Roche: Ich gucke seitdem kaum noch Musikfernsehen. Ich habe vielleicht zehn Minuten gesehen.

Wieso?Charlotte Roche: Auch zu meiner Zeit bei Viva habe ich nur die wenigen Sachen geschaut, die ich gut fand. Den Nachmittag bei Viva fand ich schon immer furchtbar.

Ihre Sendung »Fast Forward« galt für das Musikfernsehen ja fast schon als intellektuell, immerhin haben Sie auch den Grimme-Preis dafür bekommen. Heute laufen wenige Clips zwischen der Werbung für Klingeltöne. Was fehlt Viva oder MTV?Charlotte Roche: Das ist nicht nur ein Problem dieser Sender. Das Fernsehen muss sich mehr Sendungen leisten, bei denen nicht nur die Quote zählt. Ich glaube, wenn jede Sendung massentauglich seien muss, ist das schlecht. Wenn man immer auf die Quote schielt, dann sollte man wenigstens zwei Stunden etwas Anspruchsvolles zeigen, etwas, das anders ist. Leider wird das im deutschen Fernsehen aber immer weniger; keine Ahnung, woran das liegt.

Nachdem die Firma Viacom, also quasi MTV, im vergangenen Herbst bekannt gegeben hat, dass sie Ihren Sender Viva schlucken würde, stand fest, dass Ihre Kult-Sendung »Fast Forward« abgesetzt werden würde. Kurz darauf sind Sie in den »Fernsehstreik« getreten. Erklären Sie doch bitte diesen ungewöhnlichen Schritt! Charlotte Roche: Die haben im Oktober oder November bekannt gegeben, dass die Sendung bis Januar laufen würde. Es war geplant, dass ich mich ordnungsgemäß verabschieden würde. Das hat Viva aber nicht zugelassen. Die haben die Sendung immer kürzer gesendet als vorgesehen, weil ich denen immer den Tagesdurchschnitt der Quote versaut habe. Wir saßen teilweise zusammen in der Redaktion und wussten nicht, wie viele Videos wir überhaupt in die Sendung bekamen. Das war schlimm, ich hatte richtig damit zu kämpfen. Ich war verzweifelt und wütend. Das war alles so erniedrigend. Irgendwann habe ich dann gesagt, dass ich in den Streik trete.

Wollten Sie mit diesem Schritt auch ein Signal setzen?Charlotte Roche: Ja. Man kann ja Sendungen auch absetzen, aber so geht es nicht.

Parallel zur Fernsehsendung haben Sie damals bereits Ihre aktuelle Lesereise geplant. Wie kam es dazu?Charlotte Roche: Das »wissenschaftliche Werk der besonderen Art« lag schon über ein Jahr bei mir rum. Die hatten mir ein paar Studenten geschickt, die hofften, dass ich diese Arbeit mal ins Fernsehen bringen könnte. Keiner wusste aber so recht, was man damit machen sollte. Eines Abends hatte ich einige Gäste zu Hause und wir hatten auch ein bisschen etwas getrunken. Da haben wir die Arbeit mit verteilten Rollen gelesen. Danach war klar: Das muss auf die Bühne.

Auf die Bühne sind Sie zuerst mit Christoph Maria Herbst gegangen, jetzt mit Heinz Strunk, der ja auch mit seiner Sendung »Fleischmann TV« mehr oder weniger bei Viva gescheitert ist. Wie passen Sie beiden zusammen?Charlotte Roche: Mit Heinz bin ich schon länger befreundet. Er ist ein würdiger Ersatz für Christoph Maria Herbst, der wegen Dreharbeiten teilweise ausfällt. Wir verstehen uns sehr gut und sind vielleicht ein bisschen Geschwister im Geiste, weil wir beide nicht so massenkompatibel sind.

Was dürfen die Zuschauer bei der Lesung erwarten? Charlotte Roche: Wir machen da reine Unterhaltung. Die Leute werden nur lachen, auch wenn es eine gewisse Schwere gibt. Wir lernen die Männer richtig kennen. Trotz der lustigen Seite: Es ist auch ein richtiger Kraftakt das zu überstehen.

Und wie geht ihre Karriere weiter? Es ist ja sicher nicht Ihre Erfüllung ein Leben lang aus dieser Doktorarbeit vorzulesen.Charlotte Roche: Stimmt. Die Tour geht bis Sommer. Anschließend werde ich wohl schon Werbung für meinen Film »Eden« machen müssen. Fertig habe ich den Film noch gar nicht gesehen, aber das wird ein ganz toller Film von Regisseur Michael Hofmann. Es ist keine Komödie, sondern eine tragische Geschichte, in der ich die Mutter eines Kindes mit Down-Syndrom spiele.
Soll Ihre Karriere dann jetzt eher in Richtung Schauspielerei gehen oder kann man Sie bald wieder als Moderatorin im Fernsehen bewundern?Charlotte Roche: Das hängt natürlich von den Angeboten ab, die ich bekomme. Ich wollte schon immer Schauspielerin werden. Das war mein Traum. Als ich noch in der Schule war, war die Theater-AG das Einzige, wo ich mich richtig hintergeklemmt habe. Als ich bei Viva war, habe ich zwar auch öfter Drehangebote bekommen, aber das waren dann so schwachsinnige Teenagerfilme. Das habe ich abgelehnt, aber bei dem Drehbuch von »Eden« bin ich tatsächlich ausgeflippt. Man muss manchmal eben auf die richtigen Sachen warten.

Artikel vom 08.04.2005