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»Die Innenstadt muss sauberer werden«

Lübbeckerin Petra Guder unterbreitet der Bürgermeisterin umfangreichen Maßnahmenkatalog

Lübbecke (WB/ee). In einem Offenen Brief hat sich die Lübbeckerin Petra Guder an Bürgermeisterin Susanne Lindemann gewandt. Ihr Anliegen: die Müllproblematik in der Innenstadt (wir berichteten in unserer Ausgabe vom 6. April). Nachdem am 24. Februar zur Abholung in der Langen Straße abgelegter Papiermüll von Unbekannten angezündet worden war und die CDU im März durch Taubenkot verdreckte Passagen der Fußgängerzone bemängelt hatte, nahm kürzlich die Bürgermeisterin dazu Stellung. Die Vielzahl der im Schreiben von Petra Guder an die Bürgermeisterin aufgeführten Anregungen und Verbesserungsvorschläge stellt die LÜBBECKER KREISZEITUNG als Dokumentation vor.

»Sehr geehrte Frau Lindemann, als gebürtige Lübbeckerin und langjährige Anwohnerin der Innenstadt ist mir am Image und Zustand unserer Innenstadt besonders gelegen. Ihr Verweis auf die Reinigungspflichten der Anwohner ist zwar zum Thema formal korrekt, jedoch hilft dies in der Sache wenig weiter. Ganz davon abgesehen dürften es die betroffenen Anwohner berechtigt als Zumutung betrachten, ständig den Müll einer Vielzahl von Innenstadtbesuchern auf eigene Kosten beseitigen zu müssen.
Die Reinigungssatzung, verbunden mit dem kostensteigernden Einsatz der städtischen Bediensteten, hilft aus zwei Gründen ebenfalls wenig. Zum einen sind die Portemonnaies der Bürger ohnehin schon über die Maßen nicht nur durch die Entscheidungen der grossen Politik belastet. Gerade sie ist es aber auch, die u. a. mit der Agenda 2010 auf die Notwendigkeit größerer Eigenverantwortlichkeit der Bürger hinweist und die Verabschiedung vom den Bürger stets umsorgenden Wohlfahrtsstaat eingeleitet hat. Es ist allein schon deshalb nicht länger angezeigt und am wenigsten Erfolg versprechend, zur Lösung des von vielen Bürgern verursachten Müllproblems weiterhin auf städtische Lösungen zu vertrauen.
Zu erinnern ist hier als Beispiel nur an die auch von Ihnen angesprochene Kaugummientfernung, die den kommunalen Etat doch erheblich belastet hat. Solange bei den Bürgern selbst hier kein Umdenkungsprozess stattfindet und solche Aktionen nicht von einer entsprechenden Kampagne begleitet werden, sind solche Investitionen sinnlos. Ich möchte als steuerzahlende Bürgerin mein Geld auch nicht hierfür verwandt wissen. Das Verursacherprinzip ist - auch im präventiven Sinne der künftigen Müllreduzierung - doch eine schon in vielen Kommunen erfolgreich erprobte Variante.
Viel sinnvoller als der Einsatz von Ein-Euro-Kräften erscheinen mir hier Patenschaften für verschiedene Straßenabschnitte, Verkehrsinseln, Grünanlagen und Plätze mit der Verpflichtung der regelmäßigen Reinigung. Die Kaugummis z. B. dürften weitestgehend von der jüngeren Generation achtlos fallen gelassen worden sein (ohne diese zu stigmatisieren), anstelle sie in ein Papier zu wickeln und in den nächstgelegenen Mülleimer zu entsorgen. Dies wäre ein Anflug von Verantwortungsbewusstsein gegenüber unserem Gemeinwesen, unserer Stadt.
Im Stadtgebiet Lübbecke befinden sich fünf große Schulen (Gymnasium, Hauptschule, Kollegschule, Realschule, Sonderschule), die Grundschulen einmal ausgenommen. Wenn jede Schule als Gemeinwesenumweltprojekt freiwillig eine Patenschaft für einen Teil der Innenstadt übernehmen würde, wäre der Sache schon geholfen und es wäre eine gute Kombination von Sozial- und Umweltkunde. Des Weiteren gibt es in der Stadt zwei große Kirchengemeinden mit entsprechender Jugendarbeit, kirchlichem Unterricht (z. B. Konfirmanden) sowie das kirchliche Jugendzentrum am Markt. Auch hier böte sich ein weiteres Betätigungsfeld. Anzusprechen wären im Zuge der Gleichbehandlung allerdings auch die anderen Religionsgemeinschaften in der Stadt, ausländische eingeschlossen. Dazu gibt es reichlich Vereine, die Jugendarbeit betreiben.
Derlei Patenschaften gibt es bereits sehr gut funktionierend vor meiner Haustür an meinem zweiten Wohnsitz in den USA. Auch in Frankfurt werden beispielsweise Wegwerfsünder direkt angesprochen und die Sache als Ordnungswidrigkeit gehandelt. So weit müsste es, wenn man die Patenschaften gut organisiert, allerdings erst gar nicht kommen. Haftungsrechtliche Fragen lassen sich ebenso wie Fragen der Aufsicht lösen.
Die Innenstadt wird jedoch nicht nur von der jüngeren Generation gerne genutzt, auch die älteren Mitbürger verweilen dort häufig. Die Gestaltung der Fußgängerzone ist ein leidiges Thema. Schön sieht sie allemal nicht mehr aus. Dies trägt sicher auch zum Müllproblem bei. Etwas, was ästhetischen Ansprüchen nicht mehr genügt, wird auch nicht gepflegt. Man könnte die Einrichtung von Patenschaften z. B. durch die Ausschreibung eines generationsübergreifenden Ideen-Wettbewerbs für Jung und Alt »Wie muss die Fußgängerzone zum Wohlfühlen aussehen?« z. B. unter Schirmherrschaft des Stadtmarketings begleiten.
Im Übrigen könnte in die Zusammenarbeit auch die örtliche Polizei und das örtliche Jugendgericht im Sinne einer echten, praktischen präventiven Zusammenarbeit einbezogen werden. Das örtliche Jugendgericht verhängt als erzieherische Maßnahme immer wieder gemeinnützige Arbeitsstunden. Hier steckt ein erhebliches Potenzial, was häufig nicht genutzt wird. Die Rekrutierung von entsprechenden Möglichkeiten zur Ableistung wird seitens der Jugendgerichtshilfen häufig stiefmütterlich behandelt und meistens bleibt es Sache der Jugendlichen, irgendeine Stelle zu suchen. So wird die eigentlich vom Gesetzgeber beabsichtigte erzieherische Maßnahme zur sinnlosen Ableistung von Strafarbeit. Die Einbeziehung dieser jungen Menschen in die zuvor benannten Patenschaften wäre ein sinnvoller Beitrag zu mehr Verantwortlichkeit, Integration und auch Wiedergutmachung des durch strafbare Handlungen sekundär geschädigten Gemeinwesens. Dem Jugendgericht würde so eine aktiv-gestaltende, kreative Rolle bei der Gestaltung des Gemeinwesens zukommen.
Die örtliche Polizei hat die Möglichkeit, bereits Ermittlungsakten mit einer Diversionsempfehlung zu versehen und Vorschläge zu machen. Die beste Prävention ist die Integration fehlgeleiteter junger Menschen in ihre Gemeinwesen durch sinnstiftende Aufgaben. Vor allem aber über möglichst schnelle Reaktionen auf Fehlverhalten. Bei Diversionsverfahren (also der informellen Erledigung ohne Hauptverfahren) ist die schnellste Reaktionsmöglichkeit gegeben. Auf den Landes- und Bundespräventionskonferenzen werden immer wieder solche und ähnliche konstruktive Präventionsmodelle vorgestellt. Warum nicht auch in Lübbecke tätig werden?
Die jungen Menschen könnten als Ansporn für ihre soziale Betätigung im Gemeinwesen Lübbecke einen kleinen Obulus erhalten. Jugendliche, die aufgrund von Verfehlungen Schäden auszugleichen haben, könnten diesen gleichwohl hierfür verwenden. Hierfür würde sich die Einrichtung eines Fonds anbieten. Ich bin überzeugt, dass die örtlichen Unternehmen gerne bereit wären, die vorgeschlagenen präventiven Massnahmen durch Spenden in diesen Fonds zu unterstützen. Ich selbst wäre, um mit gutem Beispiel voranzugehen, zum Anstoß bereit, einen kleinen Beitrag zu spenden. Als Ansporn für die Patenschaften können überdies die Einrichtung spezieller City-Clean-Up-Tage helfen, bei denen eine Jury Preise für den saubersten oder am schnellsten gereinigten Strassenabschnitt oder die beste Idee für künftige Müllvermeidung vergibt. Wenn wir die ganze Sache zum Thema für alle Bürger machen, vergrössert sich die Hemmschwelle des achtlosen Wegwerfens.
Ein weiterer Lerneffekt ist ohnehin dringend vonnöten: Zivilcourage - nicht länger wegsehen, sondern Menschen höflich ansprechen, wenn »aus Versehen« Dinge auf der Straße anstelle im dafür vorgesehenen Mülleimer landen. Es geht schließlich um unsere Stadt und nicht ein künstliches Gebilde mit dem Namen Lübbecke.
Ich erinnere mich abschließend gut an Ihre Wahlwerbung. »Susanne macht das« stand auf den Plakaten geschrieben und verhieß neue innovative Ideen. Machen wir also etwas daraus und gehen die Sache mit genau solchen Ideen an.
In der Hoffnung, dass meine Vorschläge nicht von vornherein auf taube Ohren stossen und freue mich auf eine rege Diskussion. Wer Vorschläge macht, muss auch bereit sein, Verantwortung zu tragen und zur Umsetzung beizutragen. Für konkrete rechtliche und organisatorische Fragen bei der Umsetzung stehe ich, aber auch mein Lebenspartner, der über den Bundesvorsitz der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen und als Aufsichtsrechtsexperte über weitreichende Erfahrungen verfügt, gerne beratend zur Verfügung.«

Artikel vom 07.04.2005