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Sie alle wollen
dem Papst ganz nahe sein

Die Pilger kommen aus aller Welt

Rom (dpa). Die Menschenwelle kam in der Nacht, Sonderzüge aus Polen, Busse aus der Schweiz, Autokolonnen aus Kalabrien. Ziel: Rom, Peterskirche, Hauptaltar - dort steht der Katafalk mit dem Toten. »Caput Mundi« wurde Rom in der Antike genannt, Mittelpunkt der Welt - das ist die Stadt auch heute wieder für einige Tage.

Von zwei Millionen Besuchern mindestens ist die Rede, vielleicht sogar werden es drei oder vier Millionen. Der Papsttod beschert Rom einen der größten Pilgeranstürme seiner Geschichte. Bis zur Beisetzung soll der Petersdom fast rund um die Uhr geöffnet bleiben. Nur nachts wird die Kirche jeweils für wenige Stunden geschlossen. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen werden etwa 300 Pilger pro Minute und 20 000 pro Stunde in die Basilika eingelassen.
Luk und Mieke, ein junges Paar aus Antwerpen, lehnen an den riesigen Säulen am Petersplatz. »Wir haben gerade den Papst gesehen«, sagen sie und lächeln dabei. Jetzt räkeln sie sich erschöpft in der milchigen Frühlingssonne. Auf ihre schweren Rücksäcke haben sie Thermomatten gespannt. »Es hat uns bewegt, den Papst zu sehen. Aber es geht sehr, sehr schnell.« Nicht mal ein paar Sekunden habe man am Katafalk anhalten können, sofort hätten einen die Ordner weitergeschoben, erzählt Luk.
Es ist eine bunte Invasion, die da friedlich über Rom hinwegrollt. Und vor allem: junge Leute, so weit das Auge reicht. »Wir sind aus Lugano in der Schweiz«, erzählt eine bildhübsche 30-Jährige, die eine Katecheten-Gruppe leitet. »Wir sind die ganze Nacht mit dem Bus gefahren, extra zum Papst«, meint die Frau. Eine andere Gruppe junger Menschen aus Kalabrien hat sich auf den Bürgersteig niedergelassen und hört Musik. »Rosenkranz und religiöser Rap«, nennt das Fernsehen den Auftrieb.
Da stöhnen viele Kirchenoberen chronisch wegen »Überalterung« in ihren Gemeinden. In Rom kann man derzeit den Eindruck gewinnen, es handele sich um die Invasion einer Jugendbewegung. »Das hätte dem Papst gefallen«, meint ein junger Mann, der schon beim Weltjugendtreffen 2000 in Rom dabei war.
Natürlich gibt es auch alte Leute. Die Rentnerin aus Genua etwa, die nach drei Stunden Schlangestehen endlich den Petersplatz erreicht. In der Nacht sei sie per Zug angereist, seit sechs Uhr in der Schlange. »Nur ein Cornetto«, ein Hörnchen, habe sie zum Frühstück gegessen. Für sie ist das Warten Tortur.
Es sind zumeist einfache Menschen, die den Weg zu »ihrem Papst« suchen, Menschen mit gebräunten Gesichtern, denen man ansieht, das sie im Freien arbeiten. Menschen mit harten, ausgemergelten Gesichtern, die von vielen Jahre schwerer, körperlicher Arbeit erzählen. Die Kleider sind einfach, dicke, bauschige Jacken tragen die meisten. Der Herr im dunklen, gestreiften Anzug mit dem Rosenkranz in der Hand, der den Mund still zum Gebet bewegt, ist die Ausnahme. Es waren die »Mühseligen und Beladenen«, denen der Pole auf dem Papststuhl neben der Jugend stets das größte Augenmerk schenkte.
Dann kommt der Augenblick, für den sie alle nach Rom gekommen sind: Langsam schreiten sie die Stufen zur Peterskirche herauf, die Sonne wärmt jetzt schon merklich, die Kühle des Kirchenschiffs ist angenehm. Vorsichtig, still, beinahe wie eingeschüchtert setzten die Pilger ihre derben Schuhe auf den glatten Marmor. An den mächtigen Sarkophagen der toten Päpste geht es vorbei, gerade auf den Hauptaltar zu.
Da liegt er, Johannes Paul II., im roten Pontifikalgewand. Das ist der Moment, an dem manche das Taschentuch zücken. Nur die Ordner kennen keine Gnade, wer aus dem Schritt gerät, wird sanft weitergeschoben. Luk und Mieke aus Antwerpen haben den Blick auf den Papst schon hinter sich. »Wir haben gebetet danach. Jetzt schauen wir uns Rom an.«

Artikel vom 06.04.2005