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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


»Wie viele Divisionen hat der Papst?« fragte einst Josef W. Stalin rhetorisch und voller Überheblichkeit. Der Mann im Vatikan, sollte das heißen, kann reden, soviel er will; allein, er wird die Welt nicht verändern. Er wird an den politischen Gegebenheiten nicht rütteln. Vor allem bedeutet er für das Sowjetimperium keine ernst zu nehmende Gefahr. Die Machtverhältnisse in der Welt, davon war Stalin überzeugt, werden durch Panzer, Bomben und Raketen entschieden, nicht aber durch Worte, nicht durch den Geist.
Letztendlich zähle nur Gewalt, dachte Stalin. Dementsprechend handelte er auch innenpolitisch. Tatsächliche oder auch nur vermeintliche Gegner ließ er millionenfach in Straflagern verschwinden, unzählige von ihnen wurden liquidiert. Den Geist dagegen hielt er für ohnmächtig, zumindest solange ihm die Mittel fehlten, seine Gedanken auch durchsetzen zu können und Widerstände zu brechen.
Daß Hochmut vor dem Fall kommt, wußte - anders als Stalin - das Sprichwort schon immer. Er selbst hat es nicht mehr erlebt, daß dies wahr werde. Knapp dreißig Jahre nach seinem Tode jedoch war es dann soweit. Dazu hat ein Mann beigetragen, der über keine äußeren Machtmittel verfügte, sondern nur durch sein Wort wirken konnte, geistig und geistlich und durch die Art, in der er zu dem stand, was er sagte: Papst Johannes Paul II., der vor einer Woche starb und gestern beigesetzt wurde.
Zwar hat der Papst nicht direkt den Untergang des Kommunismus herbeigeführt. Das erledigte dieser vielmehr selbst. Denn den Todesstoß erhielt er durch sein eigenes ökonomisches Unvermögen, seine völlig ineffektive Plan- und Mangelwirtschaft. Damit solch ein Gebilde aber eines Tages wirklich zusammenbricht, dazu bedarf es der Menschen, die nicht mehr bereit sind, seine Zumutungen zu ertragen, und die den Mut aufbringen, dies auch - im Wissen um das damit eingegangene hohe Risiko - deutlich zu machen. Dazu hat der verstorbene Papst ganz entscheidende Impulse gegeben. Er hat seine Landsleute in Polen in ihrem Kampf um die Freiheit gestärkt und unterstützt, und er hat sie zugleich zur Besonnenheit aufgerufen. Dieser Funke ist übergesprungen auch auf andere Satellitenstaaten Moskaus, nicht zuletzt auf die ehemalige DDR mit ihrer friedlichen Revolution von 1989.
Während seines langen Pontifikats stand dieser Papst nicht immer unangefochten da. Er rief ebenfalls zahlreiche Kritiker auf den Plan, auch innerhalb der katholischen Kirche. Sein konservativer Katholizismus, den er nach innen vertrat, war nicht jedermanns Sache. In den letzten Wochen und Monaten aber, in denen seine Hinfälligkeit immer sichtbarer zutage trat, und besonders während seines Sterbens stieg sein Ansehen sprunghaft an, besonders auch bei Jugendlichen.
Der entscheidende Grund dafür dürfte nicht in seinem gekonnten Auftreten in den Medien zu suchen sein, auch nicht nur in seiner ungekünstelten Art, in der er sich den Menschen zuzuwenden vermochte. Ihm wurde vielmehr abgenommen, daß er vertrat, was er für richtig hielt, ohne sich nach dem Winde zu drehen und ohne sich von dem Beifall der anderen abhängig zu machen. Sein hohes Amt, für das er sich nicht zur Wiederwahl stellen mußte, gab ihm dafür viel Freiraum. Aber man muß solchen Freiraum auch wollen und in Anspruch nehmen.
Daß Johannes Paul II. dies tat, wurde ihm letztlich honoriert. In dem Respekt, der ihm gezollt wird, kommt auch zum Ausdruck, daß man mit einem unverbindlichen Pluralismus, in dem im Grunde alles egal ist, und mit einer Toleranz der Standpunktlosigkeit letztlich nicht leben kann. Die Menschen brauchen Gegenfiguren, die zu ihrer Sache stehen, die auch manchmal sehr unbequem sind. An ihnen können sie sich orientieren; an ihnen können sie sich aber auch reiben. Beides hilft, einen eigenen Weg zu finden.

Artikel vom 09.04.2005