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Leitartikel
Klage der IG BAU

Mehr Löcher
als in einem
Ziegelstein


Von Bernhard Hertlein
An deutschen Baustellen kommt nicht nur den Unternehmern und ihren Beschäftigten heute vieles schwarz oder polnisch vor. So oft die Politik auf Druck der Gewerkschaften und Verbände versucht, die hiesigen Arbeits- und Lohnbedingungen einzumauern und zu zementieren, haben andere schon begonnen, neue Schlupflöcher zu bohren.
Die Maurer und Zimmerleute, die Maler, Klempner und selbst die Fliesenleger sind nicht zu beneiden. Die Baukonjunktur kommt seit vielen Jahren nicht aus dem Keller. Gleichzeitig stehen die Tore für die ausländische Konkurrenz weit offen.
Zwar gibt es, in den Ursprüngen, noch auf den früheren Arbeitsminister Norbert Blüm zurückgehend, Beschränkungen hinsichtlich des Lohndumpings. Auch schützt die Handwerksordnung noch den einen oder anderen Meister.
Doch wo kein Kläger ist, kann auch kein Richter Einhalt gebieten. Und selbst wenn die Justiz bemüht wird, bleibt das Problem der Beweispflicht. Im Zweifelsfall bilden Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Interessengemeinschaft. Da wird eben einfach unbezahlt länger gearbeitet, als tariflich vereinbart. Oder der Unternehmer tritt gegenüber seiner in Osteuropa angeheuerten Arbeitskraft zusätzlich als Vermieter auf und hält sich über den höheren Zins für die Unterkunft schadlos.
Das Tarifsystem für deutsche Löhne und Gehälter weist nicht nur am Bau inzwischen mehr Löcher auf als ein normaler Ziegelstein. Auch beispielsweise in der Gastronomie, im Gartenbau, in der Landwirtschaft und in Großschlachtereien bezahlen die Arbeitnehmer die Discount-Preise, die sie als Verbraucher schätzen, im Zweifelsfall mit dem Verlust ihres eigenen regulären Arbeitsplatzes. Andere Branchen wie die Textilindustrie sind ganz aus Deutschland abgewandert. Am Bau können die Beteiligten immerhin hoffen, dass ein höherer Lebensstandard in den osteuropäischen Nachbarländern die Neigung der Menschen dort, für einen Hungerlohn in Deutschland zu arbeiten, abschmelzen lässt. Oder dass die Auftraggeber die vielen Baumängel irgendwann leid sind und einsehen, dass Qualität eben auch ihren Preis hat. Diese Qualität muss von deutschen Firmen allerdings auch angeboten und sichergestellt werden.
Der Versuch der IG BAU, statt der schwarzen Schafe in der Wirtschaft das Wirtschaftsministerium vor Gericht zu bringen, dient wohl vor allem dem Zweck, öffentliche Aufmerksamkeit zu wecken. Denn der Weg über die angezeigte »Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug«Êführt über eine sehr wacklige Brücke. Das Problem kann, wenn überhaupt, in Wirklichkeit nicht juristisch, sondern nur politisch gelöst werden.
Immerhin wird durch die Strafanzeige der Baugewerkschaft deutlich, wie widersprüchlich eine Politik handelt, die einerseits einen hier ausgehandelten Lohntarif für alle verbindlich machen und andererseits die Kosten für ihre eigenen Neu- und Umbauten möglichst niedrig halten will.

Artikel vom 07.04.2005