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»Er lebte die Bergpredigt«

Johannes Paul II.: Faszinierende Ausstrahlung auf junge Menschen

Von Sabine Schulze, Elke Wemhöner, Jürgen Rahe und Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Wenige Minuten nach 22 Uhr läuteten am Samstag in Bielefeld die Glocken: Die Nachricht vom Tod Johannes Pauls II. hatte sich in Windeseile verbreitet. Katholiken suchten noch in der Nacht ihre Gotteshäuser auf, um dort in stillem Gebet des Papstes zu gedenken. Auch René Unkelbach, Subsidiar in St. Jodokus, sprach für den Verstorbenen die Sterbegebete.

In seiner Predigt am Sonntag in St. Jodokus ging der Geistliche, der selbst dreimal in der Privatkapelle des Papstes war und einmal auch einem Empfang des Heiligen Vaters beiwohnte, auf den Tod des Kirchenoberhauptes ein. »Er ist Zeuge der Auferstehung. Und so, wie er die letzten Tage lebte, hat er versucht, das zu zeigen.« Durch Leid und Tod, so Unkelbach, habe Johannes Paul II. sich nicht entmutigen lassen. Unkelbach bezog sich auf eine Lesung aus der Apostelgeschichte: »Die Gemeinden, die im Gebet verharrten, waren beim Volk anerkannt.« Auch den vielen, die für den Papst beteten, zollte er Respekt. Sie waren traurig und besorgt, aber nicht verzweifelt.«
Der Subsidiar hat den Papst selbst als einen charismatischen, meditativen Menschen mit großer innerer Versenkung erlebt. Dass dieser konservative Papst gerade bei der Jugend gut ankam, erklärt Unkelbach sich damit, dass der Papst stets betonte, dass die Welt die Jugend brauche. »Und er hat sie nicht in besserwisserischer Art angesprochen, sondern ihnen etwas zugetraut - als die Baumeister der Zukunft.«
Noch lebhaft erinnert sich auch Schwester Carola Kahler, langjährige Leiterin der Marienschule (Gymnasium in Trägerschaft des Konvents der Ursulinen), an den 1. Welttag der Jugend, der 1985 in Rom stattfand und an der sie mit einer Schülergruppe teilnahm. »Da habe ich das erste Mal gespürt, dass Papst Johannes Paul II. ein Mensch mit unmittelbarem Zugang zu Jugendlichen ist.« Sein Auftreten dort sei für alle Anwesenden ein großes Erlebnis gewesen. »Ich muss nicht erst heute darüber nachdenken, was die Größe seines Pontifikats ausmacht.«
Anlässlich des Papstbesuches 1996 in Deutschland fuhren die Schüler - 700 junge Menschen - und das Lehrerkollegium der Marienschule geschlossen nach Paderborn, um an der großen Messe unter freiem Himmel teilzunehmen. Zu einer unmittelbaren Begegnung in der Domstadt kam es damals jedoch nicht.
Die Faszination, die die Jugend beim Anblick des Papstes empfand, je länger sein Pontifikat dauerte, streicht auch Dr. Dr. Markus Jacobs heraus, Pfarrer der Dornberger Heilig-Geist-Gemeinde. »Viele Katholiken hoffen nun, dass seine Ausstrahlung bis zum Weltjugendtag im August fortwirkt.« Der »Athlet Gottes«, wie der sportliche Johannes Paul II. oft genannt wurde, habe weltweit die größten Menschenversammlungen bewirkt und seine Kräfte bis zuletzt nicht geschont.
Dass ein Glaubenssatz, auch wenn er aus päpstlichem Munde kommt, nicht immer alle Lebenssituationen einfängt, ist religiösen Menschen wie Pfarrer Jacobs durchaus bewusst. Die Sachthemen, auch die Kontroversen, träten angesichts des zu Ende gegangenen Lebens in den Hintergrund. »Andererseits sollten wir uns bewusst machen, dass Johannes Paul II. den Dialog der Konfessionen und Religionen stark gefördert hat. Die wohl größte Leistung aber ist sein Beitrag zur Aufhebung der Teilung Europas.« Michail Gorbatschow habe eingestanden, dass die päpstliche Einmischung den Eisernen Vorhang fortgerissen habe.
»Den Themenkomplex Alter - Krankheit - Sterben hat der Papst mit einem eigenen Bild versehen. Daraus lässt sich schließlich sein unbedingtes Eintreten für das nicht von uns Menschen gesetzte Leben ableiten, welches auch von uns nicht genommen werden darf«, erklärt Pfarrer Jacobs, auf die päpstliche Haltung zu Irakkrieg und Abtreibung anspielend. Andere Streitthemen betrachteten viele hierzulande nur aus deutscher Sicht: »Geistliche aus aller Welt, mit denen der Papst ja nun ständig verkehrte, und Katholiken anderer Länder können manche Position des Papstes leichter verstehen.«
Respekt zollen viele Gläubige auch der Art, wie dieser Papst bis zum Schluss durchhielt. Hautnah erlebt hat das Geschehen in Rom auf dem Petersplatz Bielefelds Bürgermeister Horst Grube, der mit seiner Ehefrau Annegret zu einem Kurzurlaub nach Italien aufgebrochen und am Samstag in die Teutostadt zurückgekehrt war. Grube: »Die vielen Gläubigen auf dem Platz, die für den Papst gebetet haben - das hat uns tief beeindruckt.«
Auch Regine Burg, Superintendentin der evangelischen Kirche in Bielefeld, drückt ihr Mitgefühl mit den katholischen Christen aus. Sie hat das Leiden des Heiligen Vaters verfolgt »Spätestens seit Ostern zeichnete sich ja ab, dass es zuende ging. Ich gönne ihm Ruhe und Frieden. Im Leiden und Sterben in der Öffentlichkeit zu stehen, ist belastend. Andererseits ist es gut: Wir leben in einer Spaßgesellschaft, in der das Sterben oft verdrängt wird. Aber es ist ein Teil des Lebens.« Bewundert habe sie den Papst, ergänzt sie, für seine Friedenspolitik. »Er war vielen Christen ein Vorbild und lebte die Bergpredigt - indem er zum Beispiel seinem Attentäter vergab.«
In den katholischen Kirchen des Erzbistums Paderborn wird der Gottesdienst am kommenden Freitag dem Requiem für den Papst gewidmet. In vielen Kirchen - wie in St. Jodokus - wird auch ein Kondolenzbuch ausliegen. Außerdem wird heute, Montag, und am morgigen Dienstag mittags von 12. bis 12.30 Uhr das Trauergeläut erklingen. An Kirchen und kirchlichen Gebäuden soll zudem zum Zeichen der Trauer halbmast geflaggt werden.

Artikel vom 04.04.2005