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»Bei der Wahl eines Papstes
waltet der Heilige Geist«

Nachfolge offen - Kardinal Ratzinger zählt zu den Kandidaten

Rom (dpa). Mit dem Tod von Papst Johannes Paul II. ist eines der längsten Pontifikate in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche zu Ende gegangen. Der 84-jährige Pole Karol Wojtyla hat die Geschicke der Kirche bald drei Jahrzehnte bestimmt. Er war das erste nicht-italienische Oberhaupt der Katholiken seit 455 Jahren und hat so sehr Geschichte geschrieben, dass es kaum mehr ausdrücklich gesagt werden muss. Jetzt beschäftigt Gläubige wie Kurie die Frage: Wer wird der Nachfolger dieses Mannes?

Kann überhaupt jemand diesen Platz ausfüllen, ohne wie ein Schatten dieses Karol Wojtyla zu wirken, wie eine Maus neben einem Berg? Diese Frage zeigt das Dilemma, vor dem das Konklave stehen wird. Johannes Paul II. hat fast alle der an der Entscheidung beteiligten Kardinäle selbst ernannt. Damit hat er die Chancen erhöht, dass der nächste Papst ähnliche Prinzipien wie er selbst vertritt und in umstrittenen Fragen wie Empfängnisverhütung und weiblichen Priestern keine Unklarheiten aufkommen lässt.
Eine große Frage ist, ob der nächste Papst wieder ein Nicht- Italiener sein l oder ein Italiener die Geschicke des Heiligen Stuhls bestimmen soll. Viele Mitglieder des Klerus sind der Ansicht, dass das nächste Oberhaupt aus der Dritten Welt kommen sollte, wo die Kirche so lebendig ist und wächst wie sonst nirgendwo.
Die Kardinäle wissen, dass heute fast 65 Prozent der Katholiken in Afrika, Asien und in Südamerika leben. Andererseits macht ihnen die Tatsache Sorge, dass das Christentum gerade in den Gesellschaften des Westens gepredigt werden muss, wo Materialismus und Individualismus viel weiter verbreitet sind als religiöse Opferbereitschaft. In einer zunehmend globalisierten Welt steht naturgemäß auch der Katholizismus vor der Aufgabe, mit Religionen zusammenzuarbeiten, die er früher bekämpft, verurteilt oder gar ignoriert hatte.
Nach katholischer Überlieferung waltet bei einer Papstwahl der Heilige Geist. Aber auch ansonsten lässt sich der Ausgang eines Konklave so gut wie nie voraussagen: Überraschungen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. »Wer als Papst in das Konklave geht, kommt als Kardinal wieder heraus«, heißt ein altes römisches Sprichwort. Im Klartext: Auf sogenannte Favoriten sollte man nicht allzu viel geben. Und arithmetische Überlegungen machen die Sache auch nicht leichter: Etwa die Hälfte der Wahlberechtigten kommt aus Europa, die andere aus Nordamerika und der Dritten Welt.
Viele wünschen sich nach dem langen Pontifikat Karol Wojtylas eine Art »Zwischenpapst«, einen älteren Kandidaten, der für eher wenige Jahre regiert und keine grundlegenden Weichenstellungen vornimmt. »Nachdem Johannes Paul die Kirche fast 27 Jahre lang prägte, will man ein klar kürzeres Pontifikat«, heißt es häufig in Kirchenkreisen. Große Reformen sollen erst einmal verschoben werden.
Als »heißer Kandidat« gilt Oscar Rodríguez Maradiaga aus Honduras, in Glaubenssachen eher konservativ, politisch ein Kritiker des ungebremsten Kapitalismus. Oder Castrillón Hoyos (Kolumbien), Norberto Rivera Carrera (Mexiko). Als Vorteil der Südamerikaner gilt, dass sie bei einem Konklave wohl auf die »Dritte-Welt-Kollegen« aus Afrika und Asien bauen können werden, zudem auf Rückendeckung spanischer und portugiesischer Purpurträger.
Sollte es zu einer »Blockade der Blöcke« kommen, schlägt die Stunde der Außenseiter. So wie 1978, als die Kardinäle den Überraschungskandidaten Karol Wojtyla kürten. Als ein »Joker« gilt diesmal der deutsche Kurienkardinal Joseph Ratzinger. Das wäre eine Sensation: der erste deutsche Papst seit 500 Jahren. Neben Ratzinger, einem der engsten Vertrauten des bisherigen Papstes, werden als zweitem Deutschen auch Kurienkardinal Walter Kasper Chancen eingeräumt.

Artikel vom 04.04.2005