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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


In Helmuth Karaseks im vorigen Jahr erschienenen Erinnerungsband mit dem Titel »Auf der Flucht« finden sich folgende Sätze: »Wie habe ich gelernt, daß das Verschwinden des Christentums nicht dessen fanatische Verbrechen (Ketzer- und Hexenverbrennungen, die Inquisition) auslöscht, sondern wie die Abwesenheit des Glaubens diese Untaten ins schier Unendliche steigert . . . Und je weniger Religion es gibt, desto mehr fehlt sie mir, obwohl ich doch nie glaubte.« (Seite 231)
Zuvor hatte Karasek seine Kindheit und Jugend in der Zeit des Nationalsozialismus und unter der kommunistischen Herrschaft in der sowjetisch besetzten Zone geschildert, die sich bald Deutsche Demokratische Republik nannte, obwohl es in ihr Demokratie nur nach dem Buchstaben, nicht aber in Wirklichkeit gab. Die »Abwesenheit des Glaubens« war geradezu zur Staatsdoktrin erhoben und wurde mit allen nur erdenklichen Mitteln vorangetrieben. Das Ergebnis war ein System der Unfreiheit und Verlogenheit. Bereits junge Menschen mußten damit rechnen, für eine eigenständige oder auch nur unbedachte Meinungsäußerung derartig drakonisch bestraft zu werden, daß ihre Persönlichkeit gebrochen und ihr Leben nachhaltig zerstört wurde.
Das Zitat befindet sich an einer Stelle, an der Karasek zuvor gerade geschildert hatte, wie ihm kurz nach dem Abitur in den frühen 50er Jahren die Flucht in den Westen gelungen war. Aber es gibt wohl kaum die Überlegungen des Studenten von damals wieder. Vielmehr enthält es die Sicht des gereiften und in die Jahre gekommenen Mannes.
Dieser macht sich Gedanken darüber, was es bedeutet, wohin es führt oder zumindest führen kann, wenn der christliche Glaube immer mehr aus dem Bewußtsein entschwindet. Das ist in Westdeutschland ja ohne Not und ohne äußeren Zwang geschehen. Andererseits sind die neuen Bundesländer aufgrund ihrer Geschichte im 20. Jahrhundert weithin zu einem religiösen Niemandsland geworden und es auch im vereinten Deutschland geblieben. Karasek erstattet eine Verlustanzeige von der Art, für die eines typisch ist: Den Wert einer Sache ermißt man nicht selten erst spät, vielleicht sogar zu spät, nämlich dann, wenn sie verloren ist. Vorher hatte man ihr keine besondere Beachtung geschenkt. Was die Gesundheit bedeutet, hat mancher erst erkannt, als er erkrankte, vielleicht so sehr, daß er nicht mehr damit rechnen konnte, jemals wieder gesund zu werden. Davor galt dies als eine pure Selbstverständlichkeit, die nicht weiter in Frage stand.
So ist es auch mit dem Glauben und der Religion. Diese wurden von vielen leichtfertig aufs Spiel gesetzt oder mutwillig verächtlich gemacht, ohne nach den Folgen zu fragen. Es kam nach den von manchen so sehr gepriesenen 68er Jahren immer mehr in Mode, aus der Kirche auszutreten, vielleicht in dem beruhigenden Bewußtsein, der Bestand der Kirche und die Fortdauer ihrer Verkündigung sei damit ja nicht gefährdet.
Inzwischen geht Autoren wie Hellmuth Karasek zumindest ein Licht auf, daß dies ein gefährlicher Trugschluß sein könnte. Denn je mehr sich aus der Kirche zurückziehen, desto mehr geht ihr Einfluß zurück, desto mehr halten andere Geister Einzug - Geister, die man am Ende dann wohl doch nicht will. Könnte Martin Luther denn nicht prophetisch recht gehabt haben, wenn er das Wort Gottes mit einem »fahrenden Platzregen« vergleicht? Ein solcher, so meinte er, komme dorthin nicht zurück, wo man ihn nicht genutzt, seine Stunde nicht erkannt habe. Er hinterlasse dann nur Wüsteneien und Ödnis.
Möglicherweise gibt es aber auch deutliche Zeichen des Umdenkens und der Neubesinnung. Erstaunlich ist, daß eine kurz vor Helmut Karaseks Erinnerungen erschienene Veröffentlichung nicht nur gedruckt wurde, sondern seit Monaten auf der Bestsellerliste steht. Die Rede ist von Peter Hahnes schmalem Bändchen »Schluß mit lustig. Das Ende der Spaßgesellschaft«.
Dieser, so heißt es auf dem Klappentext, »liefert eine packende Zeitanalyse und fordert die Rückkehr zu stabilen Werten, zur Erneuerung unserer labilen Gesellschaft.« »Zukunft ist Herkunft« und »Holt Gott zurück« sind Überschriften einzelner kurzen Abhandlungen darin. Die Richtung stimmt, kann man dazu nur sagen.

Artikel vom 02.04.2005