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Kind erstickt:
Wollte Mutter
nur Mitleid?

Anklage gegen Simone K. erhoben

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Die Bielefelderin, die im vergangenen Jahr ihren 22 Monate alten Sohn erstickt haben soll, leidet offenbar an dem seltenen Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Das geht aus dem rechtsmedizinischen Gutachten hervor, auf das sich die jetzt fertiggestellte Anklage stützt. Bei der Krankheit verletzen Mütter ihre Kinder, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Simone K. (23) hatte am 25. Juli einen Notarzt gerufen und angegeben, sie habe ihren Sohn Manuel leblos in seinem Bettchen gefunden. Der Junge wurde in die Kinderklinik Bethel gebracht, wo er zwei Tage später für tot erklärt wurde. Seine beiden Geschwister wurden damals vorsichtshalber in Pflegefamilien untergebracht.
Rechtsmediziner der Universität Münster hatten nach aufwendigen Untersuchungen bei Manuel innere Blutungen an drei bestimmten Stellen entdeckt, »die als klassische Erstickungszeichen angesehen werden«, wie es in ihrem Gutachten heißt. Die Ärzte gehen davon aus, dass die Mutter Manuel Mund und Nase mit der Hand oder einem Kissen verschlossen hat. Simone K. sitzt deshalb seit Dezember in Untersuchungshaft, sie bestreitet die Tat allerdings vehement. Die Rechtsmediziner nehmen an, dass die Frau an dem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom leidet. »Bei dieser Erkrankung kann es dazu kommen, dass Mütter heimlich ihr Kind verletzten und sich phantastische Geschichten ausdenken - wie der Lügenbaron Münchhausen, nach dem das Krankheitsbild benannt ist«, erklärt Gerichtsgutachter und Diplom-Psychologe Siegfried Binder aus Lippstadt.
Die Motive seien unterschiedlich: »Oft wollen die Frauen Mitleid hervorrufen, oder sie suchen Aufmerksamkeit und möchten einfach im Mittelpunkt stehen.« So hatte Simone K. bereits früher in zweimal einen Arzt gerufen und angegeben, Manuels Geschwister hätten einen Atemstillstand gehabt und sie habe die Kinder wiederbelebt. Beide Male hatten die Ärzte allerdings kerngesunde Kinder vorgefunden und keinen Hinweis auf einen Atemstillstand feststellen können.
Die junge Frau hatte sich außerdem eigene Krankheiten ausgedacht und ihre Leiden plastisch geschildert. So erzählte sie wenige Tage nach dem Tod ihres Sohnes in einem Telefongespräch einem Reporter, sie liege mit Gebärmutterkrebs im Krankenhaus und müsse sofort operiert werden. Psychologe Siegfried Binder: »Diese Menschen wissen genau, dass ihre Geschichten nicht stimmen, aber sie spüren einen inneren Zwang, sie zu erzählen und immer weiterzumachen.«
Simone K. soll sich spätestens im Juni wegen Totschlags vor dem Landgericht Bielefeld verantworten. Sie lehnt es bislang ab, sich von Psychologen oder Psychiatern begutachten zu lassen.

Artikel vom 01.04.2005