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Jahrelang vergebens gekämpft

»Unterm Strich bleiben wir bestohlen« - Alteigentümer enttäuscht

Von Christoph Trost
und Harald Schmidt
Straßburg/Berlin (dpa). Jahrelang hat Hanno von Wulffen um den früheren Besitz seiner Familie gekämpft - vergebens. Vor allem auf eine »moralische Klarstellung« hatte er gehofft, aber auch auf eine angemessene Entschädigung für das nach dem Krieg enteignete Gut Pietzpuhl in der Nähe von Magdeburg.

Beides hat ihm der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nun verwehrt: Die Straßburger Richter wiesen gestern die Entschädigungsklagen von 71 Opfern der Bodenreform in der früheren sowjetischen Besatzungszone zurück. Damit geht ein langer politischer und rechtlicher Streit zu Ende.
Die Geschichte, die Hanno von Wulffen erzählt, ist nur ein Beispiel von vielen: Lothar von Wulffen, der Bruder seines Großvaters, war Besitzer des Guts Pietzpuhl - und er selbst sollte einmal der Erbe sein. Erbe eines stattlichen Besitzes: 1500 Hektar Land in Sachsen-Anhalt und ein luxuriöses Herrenhaus gehörten zu dem früheren Rittergut, dazu Kühe und Pferde und sogar eine eigene Brennerei.
Doch es kam anders: An einem Tag im Mai 1945 rückten Reiter der Roten Armee an und führten den 72-jährigen Besitzer aus dem Haus. »Seither wurde er nicht wieder gesehen«, erzählt Hanno von Wulffen. Das Anwesen wurde beschlagnahmt und später an die deutschen Behörden übergeben. Nach der Wende kämpfte Hanno von Wulffen vergebens um den früheren Familienbesitz. Schließlich pachtete er offiziell 200 Hektar des Anwesens und kaufte das Herrenhaus zurück.
So wie von Wulffen erging es vielen: Unter der Losung »Junkerland in Bauernhand« hatten nach 1945 tausende Großgrundbesitzer und Industrielle entschädigungslos ihr Land und ihre Immobilien verloren. Insgesamt wurden Schätzungen zufolge mehr als drei Millionen Hektar Land enteignet.
Nach der Wiedervereinigung ging das Vermögen - sofern es nicht schon zu DDR-Zeiten an Neubauern übertragen wurde - in Staatsbesitz über. Das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) von 1994 sieht zwar Ausgleichszahlungen vor, diese machen aber nur einen Bruchteil des heutigen Verkehrswertes der Immobilien aus.
Bei den Betroffenen ist die Enttäuschung über das Straßburger Urteil deshalb groß. Der Schock stand ihnen ins Gesicht geschrieben, als Gerichtspräsident Luzius Wildhaber das Urteil verkündete. »Das haben wir so nicht erwartet«, gesteht der ehemalige Fabrikbesitzer Hermann Koebe. »Unterm Strich bleiben wir weiter bestohlen.« Von Wulffen spricht von einer rein »wirtschaftlichen Entscheidung«. Tatsächlich hätte Deutschland mit einer Klageflut und Forderungen in Milliardenhöhe rechnen müssen, hätten die Kläger Recht bekommen.
Ein Stück Erleichterung dürfte deshalb auch im Spiel sein, wenn das Urteil nun von Bundesregierung und zahlreichen Politikern aus den Bundesländern begrüßt wird. Die strittigen Rechtsfragen seien »nunmehr abschließend geklärt und Rechtssicherheit für alle« hergestellt, sagt Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Auch der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, nennt die Entscheidung »richtig und gut«.
Die Alteigentümer bleiben aber kämpferisch - auch wenn sie mehr als 15 Jahre nach der Wiedervereinigung ihre Hoffnung auf Wiedergutmachung praktisch begraben können. »Wir werden nicht aufgeben, sondern das Urteil analysieren und nach neuen Ansatzpunkten für eine Klage suchen«, verspricht Sylvia von Maltzan, deren Familie einst 7000 Hektar Land verloren hat. Und die Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, die Alteigentümer vertritt, schließt selbst Sammelklagen in den USA nicht aus. »Es läuft auf allen Ebenen weiter«, sagt der Vorsitzende Manfred Graf von Schwerin. »Wenn die Sache in Deutschland und Europa nicht zu lösen ist, müssen wir andere Wege gehen.«

Artikel vom 31.03.2005