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Ich tue es ihr gleich, ziehe genüsslich den Duft ein und durchkoste dann den leicht bitteren Geschmack des Kaffees. Über den Rand der Tassen treffen sich unsere Blicke. Mir ist, als sähe ich durch die offenen Augen meines Gegenübers in einen verwandten Geist hinein, der so tiefgründig wie verletzlich ist. Ich spüre den Zugang in eine Welt, in der der kurzlebige Reiz keinen Platz findet.
Die Signora wendet ihren Kopf und blickt durch die Fenster zum wolkenlosen Himmel empor. Das Atelier ist nach Norden ausgerichtet. Die Lage hat den Vorteil einer gleichmäßigen Beleuchtung, in der die Lichter und Schatten nicht wandern. Das linke Atelierfenster ist leicht geöffnet und berührt einen der blühenden Äste des Baumes.
»Ja, ich denke, jetzt ist es gerade recht. Habt Ihr Lust? Wollt Ihr einen ersten Blick auf ein Selbstbildnis werfen?«
»Mit Vergnügen, Signora Triva!«, antworte ich. Doch ich bleibe sitzen, um sie für einen Moment zu beobachten. Ihr Kleid verrät die Harmonie ihrer Gliedmaßen und Bewegungen, und die knisternde Seide steigert nur noch mein Verlangen nach ihr. Schließlich folge ich ihr hinüber zur ersten Staffelei. Behutsam zieht sie das Tuch zur Seite.
Ihr Gemälde zeigt sie selbst. Erkennbar von vorn, doch das Gesicht leicht ins Profil gedreht. Sie sitzt in Dreiviertelfigur, in einem weißen Gewand und mit einer Tafel auf den Knien, die sie mit der linken Hand festhält. Eine Muse oder Sybille. Damit meint sie sich und ihre Malerei und tritt doch nicht selbstherrlich aus dem zarten Ideenbild heraus. Anmutig und fein - die Idee dieses Bildes würde ich gern aufnehmen und aus meiner Perspektive variieren. Mich juckt es förmlich in der Hand; vielleicht komme ich dazu, sie als Muse meiner Malerei zu entwerfen É
Etwas seitlich vorgeneigt, werden Gesicht und entblößte Schulterpartie vom Licht beschienen. Eine energische, selbstvergessene Pose. Hier ist nichts zu sehen von der Steifheit einiger Selbstporträts von Frauen, von törichten Einschränkungen durch akademische Regularien. Die Abgebildete fühlt sich wohl in ihrer Haut und bei ihrer Arbeit, die sie sehr begeistern muss.
Aus ihrer zurückgebundenen Haarpracht haben sich spielerisch einzelne Strähnen herausgelöst. Sie wirkt verzückt, gerade so, als würde sie den Schöpfungsakt ihres eigenen Werkes auskosten. Das Bild vibriert geradezu von Tatkraft und Bewegung.
Doch was meinen Blick fesselt, sind die festgehaltene Reflexe des Lichts auf ihrer Haut. Ungewöhnlich plastisch, wie bei einem lebendigen Wesen, erzeugen sie einen emailhaften Glanz darüber. Es ist das Licht der erlebten Schönheit É
Jetzt erst werde ich gewahr, dass Signora Triva jeden meiner Gesichtszüge scharf beobachtet. Ich sehe ihr tief in die Augen. »Ihr werdet nicht namenlos bleiben, Signora. Ihr habt Anrecht auf wahren Ruhm!«
»Meint Ihr das ehrlich?«, fragt sie und schenkt mir erneut ihr strahlendes Lächeln.
»So wahr ich hier stehe! Ihr habt etwas Edles und Neues erschaffen. In Eurer Brust lebt ein weiblicher Cäsar.«
Daraufhin legt sie den Kopf in den Nacken und erwidert ein glockenhelles Lachen. Es ist ein befreiendes Lachen, das aus unserer Unterhaltung den strengen Ton der Fachdiskussion hinwegspült.
»Sie ist wirklich die schönste Frau Roms. Es ist unmöglich, sie noch vollendeter zu machen«, setze ich noch eins darauf.
»Oh, jetzt übertreibt Ihr. Als schönste Frau Roms kann ich mich selbst nicht sehen! Doch ich gebe zu, es tut mir gut, Euch so reden zu hören. Ich hoffe nur, Ihr urteilt in gleicher Weise, wenn ich nicht daneben stehe.«
»Signora! Was denkt Ihr von mir?«
»Verzeiht. Dennoch solltet Ihr wissen: Wenn meine Werke von Männern begutachtet werden, machen einige ein verkniffenes Gesicht, als hätten sie von einer sauren Frucht gekostet. Ich bekomme weder Lob noch Tadel zu hören, sondern nur, dass meine Arbeit für eine Frau ganz annehmbar sei. Manche blicken auch nur widerwillig oder gar nicht auf diese Werke, weil sie wissen, dass sie von Frauenhand sind.«
»Ich gebe zu, manch einer wird dieses Bild mit Neid betrachten, da Ihr ihn in Erstaunen versetzt. Doch lasst mich bitte die anderen sehen.«
Neben einem weiteren Selbstbildnis enthüllt Signora Triva zwei großformatige Historienbilder mit biblischen Themen, wie sie in Madrid und anderswo malenden Frauen nicht zugestanden werden. Das eine zeigt die biblische Susanna, das andere Judith mit dem Haupt des Holofernes. Auch hier besticht die lebensnahe Malweise, unterstützt durch fein modellierte Licht- und Schattenkontraste. Neben Partien von kräftigem Rot und Blau entzücken mich warme Braun- und Goldtöne. Doch das wahre Können zeigt sich in der Darstellung der halb nackten Frauen, ihrer kundig herausgearbeiteten Anatomie sowie in den sorgfältig studierten Faltenwürfen. Die ganze Malweise zeigt, wie gut die Künstlerin den großen Meister aus Caravaggio und ihre meisterhafte Kollegin Artemisia Gentileschi studiert hat É
»Wer ist Euer Vorbild gewesen? Wem eifert Ihr nach?«, frage ich daher nach.
»Sagt Ihr Männer nicht immer, Ihr wollt die Linie Raffaels, die Farbe Tizians und die Anmut Correggios mit der Größe der Griechen vereinen?«, erwidert sie spontan. »Ich male so, wie ich sehe, und nicht nach Wissen und Gelehrsamkeit.«
»Ihr sprecht mir aus dem Herzen. Niemand kann mit vier Winden zugleich segeln!«
Wieder treffen sich unsere Blicke. Das Licht fällt etwas milchig durch die Fenster und zeichnet die weichsten Töne auf ihr Antlitz. Plötzlich weiten sich ihre Augen. Ihr Gesicht wirkt angespannt. Sie blickt an meiner Schulter vorbei. Fixiert etwas.
»Da! Seht nur! In der Ecke! Es bewegt sich É!«
Schnell drehe ich mich um. Dort wo ich vorhin im Schatten der Staffelei ein abgelegtes Stück Seil vermutete, kommt Leben.
»Eine Schlange!«, dringt das Entsetzen an mein Ohr. Gleichzeitig spüre ich ihre Hand fest auf meiner Schulter. Sanft hebe ich sie herunter, während ich die Schlange keinen Augenblick aus den Augen lasse.
»Bleibt hier in der Ecke stehen«, sage ich in beruhigendem Ton, »und tut nur das, was ich Euch sage É«
Ich habe keine Angst vor Schlangen. Am Guadalquivir habe ich viele Schlangen beobachtet. Dabei habe ich die giftigen gemieden und die ungiftigen mitunter auch mit der bloßen Hand gefangen. Vorsichtig, ohne große Erschütterung des Fußbodens bewege ich mich hinüber in die andere Ecke des Ateliers.
»Bitte seid vorsichtig!«, vernehme ich die Stimme der Signora.
Auf halber Distanz gehe ich in die Knie. Das Reptil ist schlank, und die Oberseite glänzt braun bis oliv. Ich schätze die Länge auf fast vier Ellen, was ein prächtiges Exemplar ergibt. Noch kann ich nicht abschätzen, was für eine Art von Schlange es ist. Ein Blick hin zum offenen Fenster und zum Baum beantwortet mir allerdings die Frage, woher sie gekommen sein mag. Kurz darauf bewegt sie sich wieder. Jetzt erkenne ich ihre großen Augen und ihre runden Pupillen. Ihre Bauch ist weißlich bis gelblich. Es gibt keinen Zweifel mehr für mich. Das Exemplar vor mir ist eine hervorragende Kletterschlange, eine Äskulapnatter. Die Tempel Roms waren in der Antike voll davon. Langsam bewege ich mich auf sie zu. Sie begrüßt mich mit einem gefährlichen Zischen.
»O nein É!«, höre ich noch die Stimme hinter mir.
Doch kurz entschlossen fasse ich sie hinter dem Kopf und an ihrem Ende. Sie wehrt sich tapfer. Doch bald hängt sie wie ein Springseil zwischen meinen Händen. Ich trage sie zum Fenster, und mit einem Schwung landet sie elegant auf dem dichten Geäst, worauf sie im Grün der Blätter verschwindet.
Signora Triva steht das Entsetzen noch in das Gesicht geschrieben. Langsam gehen wir aufeinander zu. Ihr suchender Blick durchdringt mich bis ins Herz. Ich spüre, wie mich eine elementare Unruhe erfasst. Das so Engelhafte wie Schutzlose zieht mich unwiderstehlich an. Unsere Blicke versuchen zu lesen. Ein Moment, der alles weiß. Kein Damm der Welt wird die Flut der Gefühle zurückhalten können. Für einen kurzen Augenblick fassen wir uns an den Händen. Es ist, als hätten wir Pulver geschluckt, das durch eine hell brennende Lunte unweigerlich zur Explosion gebracht wird. Meine Lippen finden die ihren. Wir lodern, wir lösen uns auf. Die leidenschaftlichen Umarmungen nehmen uns die Luft. Ich erlebe die herrlichen Sinneseindrücke neu, die mit meinen allerersten Erfahrungen verbunden sind. Ich ziehe gierig ihren Duft ein, liebkose ihre Wangen, ihren Hals, greife in ihr Haar. In bebender Spannung biegen sich unsere Körper, pressen sich unsere Hüften gegeneinander. Wir sind aufgepeitscht von einem Glückssturm in uns und jenseits aller Besinnung. Berauscht von der Leidenschaft der Gefühle schließt sie die Augen, legt ihren Kopf in den Nacken und beugt ihren Körper weit nach hinten, sodass ich ihre zierlichen runden Schultern und ihre Brust bewundern und lustvoll betrachten kann. Verklärt, verzaubert, in der Suche nach immer wieder neuen Zärtlichkeiten, tauchen wir in einen betäubenden Sinnesnebel ein. Ihr Atem geht rascher.
»Nein, Liebster É Nicht heute É Noch nicht É Bitte!«
»Verzeih! Ich möchte dich am liebsten verschlingen«, erwidere ich atemlos.
»Ja! Aber nicht heute, nicht jetzt. Das Haus hat Ohren. Morgen Liebster, morgen sind alle daraus verbannt.«
»Wenn du wüsstest, wie ich mich nach dir sehne! Jeden Augenblick, jeden Atemzug É«
»Auch mich hält die Sehnsucht nach dir seit unserer ersten Begegnung gefangen«, flüstert sie. Daraufhin sieht sie mir tief in die Augen.
»Diego, ich glaube, ich habe mich in dich verliebt É« (wird fortgesetzt)

Artikel vom 14.04.2005