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Preisschilder werden größer

Geschäfte für Senioren - Handel wirbt um kaufkräftige Zielgruppe

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Mit Waren für 60- bis 90-Jährige hat Anfang März in Großräschen in der Niederlausitz Deutschlands erstes Seniorenkaufhaus geöffnet. In Chemnitz wiederum testet der Einzelhandelsriese Edeka eine altersgerechte Filiale. Wegen der demographischen Entwicklung werden ältere Menschen als Zielgruppe immer wichtiger.

In dem kleinen Ort in der Niederlausitz helfen Verkäuferinnen beim Anprobieren, die Umkleidekabinen fassen zwei Personen, die Produkte wie Computer mit großen Tasten, sprechende Wecker oder Strumpfhosen mit weitem Bund sind praktisch. Der Sprecher der zur Edeka-Gruppe gehörenden Allgemeinen Handelsgesellschaft der Verbraucher AG (AVA) in Bielefeld, Rainer Diermann, glaubt aber nicht, dass Großräschen flächendeckend Schule machen wird. »Bei der AVA sind Einkaufsstätten speziell für Senioren kein Thema«, sagte Diermann gestern dieser Zeitung. Das bedeute aber keineswegs, dass die AVA den Bedürfnissen älterer Menschen nicht Rechnung trage. In den Marktkauf-Warenhäusern würden in nächster Zeit größere Preisetiketten eingeführt, um die Übersichtlichkeit zu verbessern.
»Bis zum Jahr 2025 wird es so weit kommen, dass eine Schriftgröße von weniger als 13 Punkt (4, 9 Millimeter - so groß wie diese Schrift)
dem kommerziellen Selbstmord gleichkommt«, sagt der amerikanische Konsumforscher Paco Underhill voraus und macht die logische Rechnung auf: Wer etwas nicht lesen könne, kaufe ein Produkt nicht. Der Amerikaner Underhill hat die Firma Envirosell gegründet, deren Mitarbeiter weltweit Einzelhandelsunternehmen beraten. In seinem Buch »Warum kaufen wir? Die Psychologie des Konsums« (Econ-Verlag) betont Underhill: »Wenn man älteren Kunden das Leben leichter macht, verkauft man damit nicht nur mehr Waren, sondern weckt auch freundliche Gefühle bei einer Gruppe von Menschen, die oft vom Einzelhandel schlecht behandelt wird.«
Unternehmen, die auf Altersschwäche Rücksicht nähmen, seien in der Zukunft die Gewinner. Konkret empfiehlt Underhill, mehr Bilder und Grafiken auf Etiketten zu verwenden, kontrastreiche Schriften einzusetzen, Märkte heller zu gestalten, Sitzgelegenheiten und Ruheoasen zu schaffen. Außerdem warnt er: »In Supermärkten sind Produkte, die auf einem zu hohen oder zu tiefen Regal angeboten werden, für ältere Kunden wirklich unzumutbar.« Das treffe speziell für schwere Artikel wie Getränkekisten und Waschmittelpakete zu.
Die Konzerne für Unterhaltungselektronik hätten den Trend bislang verschlafen: »Im Augenblick wetteifern die Hersteller von Handys darin, wer das kleinste Gerät auf den Markt bringen kann, aber die Zeit wird kommen, dass das Telefon mit den größten Knöpfen und dem größten Display der Favorit sein wird, zumindest bei älteren Kunden.«
Eigentlich müsste es im ureigenen Interesse der Wirtschaft liegen, ältere Käufer zu umgarnen. Statistisch kann in Deutschland jeder, der 60 und älter ist, jedes Jahr 20 000 Euro ausgeben, sechsmal mehr als Teenager und junge Erwachsene. Zudem sind Senioren konsumfreudig: Nach einer Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg lassen sie gut vier Fünftel des verfügbaren Einkommens in Geschäften, Restaurants oder Reisebüros.
Mit Sitzgelegenheiten und Wasserspendern kommt die AVA den Bedürfnissen der Zielgruppe 50 plus entgegen. Mitarbeiter, die eigens Senioren am Eingang willkommen heißen, würden aber nicht eingestellt. Rainer Diermann: »Einen Grüßclown wie bei Wal Mart in Amerika wird es bei uns nicht geben.«

Artikel vom 31.03.2005