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Kaputte Zähne
und Brillen

40 Millionen für Kriminalitätsopfer

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Immer mehr Kriminalitätsopfer stellen beim Versorgungsamt Bielefeld Anträge auf Entschädigung. Die Zahl der Anträge stieg von 462 in 2002 auf 546 in 2004.

Tatort Kirmes: Ein betrunkener Gast pöbelt einen ahnungslosen Mann an und schlägt ihm schließlich die Schneidezähne raus. »Oft kommen Menschen zu uns, die bei Schützenfesten oder bei der Weiberfastnacht Teile ihres Gebisses oder ihre Brille eingebüßt haben«, erzählt Bernd Schynol. Im Versorgungsamt Bielefeld, das für ganz Ostwestfalen-Lippe zuständig ist, kümmert sich Schynol mit zwei Kollegen um Leidtragende von Gewalt. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Unfallambulanz und Versorgungsamt erfahren die Betroffenen schneller als früher über die Anlaufstelle für ihre finanziellen Forderungen.
»Ansprüche sollten innerhalb eines Jahres nach der Gewalttat angemeldet werden«, rät Schynol. Ansonsten zahle das Versorgungsamt nur noch für die Zeit bis zum Abschluss der Therapie, nicht aber seit deren Beginn. Egal ob Therapie nach sexuellem Missbrauch oder Zahnersatz nach Schlägerei: Die Versorgungsämter, insgesamt elf in Nordhrein-Westfalen, zahlen da weiter, wo die Krankenkassen aufhören. Bei Zahnersatz tragen sie 40 Prozent der medizinisch notwendigen Kosten. Übernommen werden auch die Tagespauschalen der Krankenhäuser für stationäre Unterbringung.
Alle elf nordrhein-westfälischen Versorgungsämter wiesen die Landeskasse in Düsseldorf im vergangenen Jahr an, 40 Millionen Euro auszuzahlen. Das waren zehn Millionen Euro mehr als noch 2001. »Wir beobachten seit Jahren eine deutliche Steigerung«, sagte Andreas Steffen vom Versorgungsamt Bielefeld dieser Zeitung. Das Geld wird von Land und Bund im Verhältnis 60:40 aufgebracht.
Die Bearbeitung der Anträge nehme durchschnittlich zwei bis drei Monate in Anspruch, berichtet Steffens Kollege Schynol: »Wir müssen Polizeiakten hinzu ziehen und Ärzte anschreiben.« An die Nieren gehen die Fälle, in denen jemand getötet wird und Angehörige zurückbleiben. 429 Rentenfälle zählte das Versorgungsamt Bielefeld im vergangenen Jahr in Ostwestfalen-Lippe. Ansprüche konnten 319 so genannte »Beschädigte« geltend machen, also Menschen, die Opfer einer Gewalttat wurden. Außerdem 26 Witwen und Witwer, 83 Halb- und Vollwaisen sowie ein Elternteil. Im konkreten Fall erhält eine bedürftige Mutter deshalb die »Elternrente«, weil sie auf die finanzielle Unterstützung des bei einem Verbrechen umgekommenen Kindes angewiesen war.
Wer glaubt, dass hauptsächlich ältere Menschen Opfer von Kriminalität werden, irrt sich. »Vom Kind bis zum Rentner sind alle Altersgruppen dabei«, weiß Schynol. Die Folgen der Straftaten sind zum Glück überwiegend nicht von bleibender Natur. »Die allermeisten können nach der Behandlung wieder arbeiten«, stellt Schynol mit Blick auf die Statistik erfreut fest. Das Versorgungsamt Bielefeld ist unter der Telefonnummer 0521/5990 zu erreichen.

Artikel vom 04.04.2005