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Schmerz plagt Kinder

Mediziner kritisiert fehlende oder falsche Behandlung

Recklinghausen (dpa). Schmerzen von Kindern werden von Medizinern und Eltern häufig nicht ernst genommen und bleiben unbehandelt.
»Wer als Kind unter unbehandelten Schmerzen zu leiden hatte, wird im Erwachsenenalter überdurchschnittlich oft von chronischen Beschwerden geplagt«, sagt der Kinderschmerz-Experte Boris Zernikow von der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln (Kreis Recklinghausen). »Die Schmerzen der ersten Lebensjahre hinterlassen in Körper und Seele ihre Spuren, die bis ins Erwachsenenalter nicht auszuwischen sind.«
Insgesamt litten in Deutschland mehr als 200 000 Kinder vom Säugling bis zum Jugendlichen unter chronischen Schmerzen wie regelmäßiges Bauchweh oder Migräne. »Dabei können gerade Kinder sehr gut lernen, mit Schmerzen angemessen umzugehen und Stress- und Angstfaktoren, die die Pein vergrößern, auszuschalten.«
Die Bekämpfung und Linderung von Schmerzen bei Kindern sei noch eine junge medizinische Disziplin. Viele Ärzte und ein großer Teil des Pflegepersonals sei mit den kleinen Patienten überfordert, sagt Zernikow. Häufig würden aus Hilflosigkeit Milchmädchenrechnungen aufgemacht: »Bei Kindern werden oft Placebos, also Medikamente ohne Wirkstoffe, eingesetzt«, so der 40-Jährige. »Viele Kinder sagen nach der Einnahme, dass sie keine Schmerzen mehr haben, und Mediziner ziehen den falschen Schluss, dass die Kinder nie welche hatten. Placebos wirken nämlich auch bei stärksten Schmerzen wie Migräne und Tumorschmerzen für eine kurze Zeit sehr gut.«
Wenn Kinder etwa über Bauchschmerzen litten, sollten auch Eltern nicht wahllos in die Hausapotheke greifen. »Bevor man den Kleinen Medikamente verabreicht, sollte immer ein Kinderarzt befragt werden«, rät Zernikow. »Aspirin beispielsweise ist nichts für Kinder«, warnt der Mediziner.
Auch nach Unfällen, Verletzungen oder schweren Erkrankungen seien Kinder schmerztherapeutisch oft schlechter versorgt als Erwachsene. Eine Verbesserung der Schmerztherapien sieht Zernikow allein in der Festschreibung von Qualitätsstandards.
In der Uniklinik Münster widmet sich Zernikow neben seiner Arbeit in Datteln schwer krebskranken und sterbenden Kindern. »Um Kindern ein schmerzfreies Lebensende in der häuslichen Umgebung zu ermöglichen, haben wir in Münster so genannte Überleitungsteams gegründet, die den Übergang von der stationären zur ambulanten Behandlung begleiten und für betroffene Eltern rund um die Uhr erreichbar sind«, erklärt Zernikow. Seien vor drei Jahren noch mehr als 80 Prozent der Kinder in einer Klinik gestorben, würden heute mehr als 80 Prozent in vertrauter Umgebung aus dem Leben gehen.

Artikel vom 30.03.2005