30.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ums nackte Überleben gerannt

Bewohner der Küstenregionen brachten sich unverzüglich in Sicherheit

Von Thomas Lanig
Jakarta (dpa). Für die meisten war das Beben selbst Warnung genug. Hunderttausende an den Küsten des Indischen Ozeans wurden durch das schwere Grollen kurz vor Mitternacht aus dem Schlaf gerissen - und sie zögerten nicht.

Mit ihren Autos, Mopeds, Fahrrädern machten sie sich auf die Flucht, um einer neuen Killerwelle zu entgehen. Bis in den Süden Thailands hinein, und auch auf der Ferieninsel Phuket, wo die Angst besonders tiefe Wurzeln geschlagen hat, erzitterten die Wände und bebte die Erde. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt wissen, dass es nicht zu einer neuen Todesflut kommt wie nach dem Seebeben am 26. Dezember.
»Der Schreck war fast noch größer als damals, weil ich jetzt wusste, was passieren kann«, sagt Elfi Graml (45) aus Regensburg. Sie hat den Tsunami vor drei Monaten in Thailand erlebt und ist jetzt als Helferin vor Ort in Khao Lak. »Um drei Minuten vor Mitternacht hörte ich, wie jemand draußen eine Glocke läutete. Da wusste ich sofort, dass wieder etwas Ernstes los ist.« Mit einiger Bitterkeit nehmen die Hinterbliebenen der Toten vom Dezember zur Kenntnis, dass diesmal ein Warnsystem funktioniert hat - nicht das offizielle, denn das ist noch lange nicht einsatzbereit, aber ein informelles.
»Zurzeit besteht das einzige Warnsystem in dem, was wir in Medan und anderswo erlebt haben«, sagt Budi Waluyo vom indonesischen Institut für Meteorologie und Geophysik. In der Großstadt im Norden Sumatras und anderen Orten an der indonesischen Küste gaben lokale Polizeiwachen die Meldung vom Erdbeben weiter. Radio und Fernsehen unterbrachen ihr Programm, warnten vor einer neuen Flutwelle und lösten unausweichlich in vielen Regionen Panik aus. Es kam zu Verkehrsstaus, Unfällen, Massenkarambolagen. Alle hatten nur ein Ziel: Weg von der Küste, hinauf in die Hügel und Berge. Aber Experten sind sich einig: Die Warnung war richtig.
In Thailand gaben Behörden schon 30 Minuten nach dem Beben der Stärke 8,7 auf der Richterskala Tsunami-Alarm. Hotels und Wohnhäuser wurden evakuiert, wenn auch zum Teil erst zwei Stunden später. »Ich war nicht zu 100 Prozent zufrieden«, sagte Smith Dharmasaroja, der in Thailand das erste Katastrophen-Zentrum des Landes aufbaut. Dennoch: Viele der 300 000 Opfer der Tsunami-Katastrophe vom Jahresende 2004 hätten gerettet werden können, wenn damals die Meldungen über das Seebeben der Stärke 9,0 so schnell wie diesmal ihren Weg in die Gefahrenzonen gefunden hätten.
Auch in Indien war Montagnacht innerhalb einer Stunde nach dem Beben das Innenministerium informiert, ein Krisenstab eingerichtet, die Streitkräfte wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Über Lautsprecher riefen die Behörden zum Verlassen der Küstengebiete auf. Im Dezember hatte dies alles noch sechs Stunden gedauert - da war die Todeswelle längst über die Strände geschwappt.
Diesmal war die Erinnerung an die Tragödie frisch, die Reaktion schnell und die Erleichterung groß. Aber nach Ansicht des Schweizer Erdbebenexperten Hugo Bachmann besteht die Gefahr, dass Regierungen in ihrer Wachsamkeit »wieder einschlafen«, wenn die Abstände zwischen den Beben länger werden.
Doch Entwarnung kann für die betroffene Region in Südasien ohnehin nicht gegeben werden. Alle Experten sind sich einig, das die Spannung, unter der die Erdkruste seit dem Beben vom 26. Dezember steht, sich in weiteren heftige Nachbeben entladen wird.

Artikel vom 30.03.2005