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Ich gehe nahe an ihr Ohr heran, was mir nicht schwer fällt, zumal sie herrlich duftet. »Ja, ich habe gehört, dass Ihr ausdrucksvoll porträtiert und aquarelliert. Ich bewundere die Bildnisse, in denen das Wesen des dargestellten Menschen zum Ausdruck kommt.«
Von Hunderten Augenpaaren beobachtet, bewegen wir uns gleichzeitig auf den Eingang hin, fort aus dem Gedränge.
»Das kann ich selbst nicht beurteilen«, erwidert sie leicht errötend, während wir unseren neuen Standort beziehen.
»Was sagen Eure Bewunderer?«
»Sie bewundern, bewundern É und bewundern nur. Immerfort!«, erwidert sie ein wenig aufgebracht. »Ich zweifle sehr an ihrer Ehrlichkeit - nein, ich glaube diesen Signores kein Wort!«
»Ich habe selten so viel Bescheidenheit erlebt, Signorina Triva. Wie Ihr wisst, ist das in unserer Zunft ungewöhnlich. Jeder hält sich gleich für einen Raffael oder Tizian.«
Wiederum begegnen sich unsere Blicke. Ihre Augen sehen mich tiefgründig an und sagen mir, was ich kaum zu glauben vermag. Sie sieht mich an, als wolle sie in mich eintauchen.
»Ach, nicht dass Ihr denkt, ich mag keine Schmeicheleien. Ich mag das Spiel, aber nicht die Verstellung. Ich sage nicht immer, was ich denke, aber ich meine alles, was ich sage. Und diese Ehrlichkeit wünsche ich mir von Leuten, die über Bilder reden - oder sie malen.«
Ich staune über die Ernsthaftigkeit dieser jungen Signorina; dergleichen habe ich bei niemandem sonst in Madrid oder anderswo erlebt. »Ihr überrascht mich mit Eurer Offenheit. In Spanien geht man nicht so geradewegs auf die Dinge zu É«
»Ich lebe, Gott sei Dank, in Rom.« Sie lacht. »Auch wenn es in der Heiligen Stadt viel Verlogenheit gibt, wir echten Italiener lieben die anschaulichen Dinge, das wirkliche Leben. Daher versuche ich in meinen Bildern die Welt zu zeigen, so wie sie ist.«
»Und wie konntet Ihr Euch die Ausbildung zur Malerin erkämpfen?«, frage ich neugierig.
»Nicht leicht, wie Ihr Euch denken könnt. Aber mein Vater ist Maler, ein kundiger Verfertiger von Altarbildern, der meinem Drängen, in seine Fußstapfen zu treten, schließlich nachgegeben hat.«
»Das ist wahrlich ein großes Glück. In den Malerwerkstätten meiner Heimat wäre so etwas kaum möglich. Arbeitet Ihr Vater hier in Rom?«
»Nein, zu Hause, in Reggio Emilia.«
»Flaminia aus Emilia É«, reime ich, worauf sie mit einem weiteren glockenhellen Lachen antwortet.
»Aber mein Bruder hatte hier einige große Altarbilder auszuführen. Dabei habe ich ihm assistiert«, sagt sie stolz.
»Ich sehe Euch über mir hoch oben auf dem Gerüst wie einen Engel schweben É«
»Ich habe oft in schwindelnder Höhe gearbeitet.«
»Und habt Ihr Euch nicht gefürchtet? Als junge Frau É?« Ich lasse den Rest des Satzes offen.
»Hin und wieder. Manche Werkstätte ist eine finstere Höhle und mancher Geselle ein Barbar. Als Frau muss man immer auf der Hut sein. Doch ich habe Freundinnen, die Pagen sind. Die habe ich mir zum Vorbild genommen. Darum übe ich meine Tätigkeit immer in Männerkleidern aus. Da falle ich weniger auf«, sagt sie schmunzelnd und betrachtet meinen Kopf von links und rechts. »Noch vor wenigen Jahren trug ich meine Haare bei der Arbeit so offen wie Ihr.«
Ich muss ebenfalls schmunzeln und fasse unwillkürlich in mein Haar.
»Nur Ihr hübscher Schnurrbart, der fehlt mir. So etwas bringt nur die Natur zuwege«, bekennt sie schelmisch, was mir ein herzliches Lachen entlockt.
»Und woran arbeitet Ihr gerade?«, versuche ich etwas mehr von ihr zu erfahren.
»Ich arbeite nie an etwas. Das, was wichtig ist, kommt zu mir«, erwidert sie keck.
»Was kommt zu Euch?«, frage ich verblüfft.
»Alles!«, höre ich sie sagen, während unsere Blicke aneinander festhalten. »Auch das Glück. Denn es wendet sich nur denen zu, die dafür begnadet sind. Seid Ihr nicht selbst ein gutes Beispiel dafür?«
»Jetzt verwirrt Ihr mich.«
»Das Leben schenkt mir, was ich brauche. Daran erfreue ich mich. Man kann doch nur inspiriert sein von Dingen, die begeistern. Ich sehe es an dem Bildnis Eures ehemaligen Sklaven Juan Pareja. Ich hatte Glück, es in der Ausstellung der Bruderschaft von San Luca bewundern zu können. Es hat mich begeistert und zugleich sehr beeindruckt. Hat es Euch nicht etwa Spaß gemacht, ihn so lebendig vor Euch erstehen zu lassen?«
»Ja, ich gebe es zu. Nach den Stunden mühsamen Fleißes kam eine große Begeisterung, fast wie ein Rausch, über mich!«
Flaminia senkt darauf ihren Blick. »Signore Velázquez É ich wüsste allzu gern É Ich möchte zwar nicht Eure Zeit É doch Euer Wort, Euer Urteil É es wäre mir sehr É«
»Ich glaube, ich ahne Euren Wunsch.«
»Wirklich? Oh, Ihr wisst gar nicht, wie Ihr mich beglückt«, erwidert sie mit einem Lächeln, das mich verzaubert.
»Ich komme sehr gern und freue mich darauf, mir all Eure Bilder ansehen zu dürfen.«
»Ich wage nicht daran zu denken, Meister Velázquez É und doch - ich kann es kaum erwarten.«
»Freut Euch nicht zu früh, denn danach werde ich mich Eurer Worte erinnern. Wie habt Ihr Euch gerade ausgedrückt? Ich sage nicht immer, was ich denke, aber ich meine alles, was ich sage!«
Wieder vernehme ich ihr glockenhelles Lachen. Doch dann wird sie wieder ernst. »Ich weiß nicht, ob ich das von Euch verlangen kann«, beginnt sie zweifelnd. Gleich darauf ist sie wieder hoffnungsfroh: »Aber É es wird mir sehr helfen É«
Ich fühle in mir einen seltsamen Sog. Ihre unnachahmliche Mischung aus Sinn und Sinnlichkeit, Unbefangenheit und Betörung ist drauf und dran, mich in ihren Bann zu ziehen. Kaum, dass ich meinen Empfindungen nachspüren kann, höre ich ihre Stimme wie von fern.
»Da kommt mein Gemahl!«
Ich fühle mich plötzlich wie in Trance. Mit Stolz in der Stimme stellt sie mir ihren Mann vor, den ich nur nebelhaft wahrnehme.
»Ich hoffe, Ihr werdet bald Zeit finden, mein Atelier zu besuchen!«, drängt sie auf eine Antwort.
Rasch habe ich meine Fassung wiedergefunden. »Ich werde meinen Diener Esquivel schicken, Signora Triva«, höre ich mich sagen.
Das verzaubernde Lächeln, das sie mir schenkt, empfinde ich nun wie eine Kette, die sie mir mit Eleganz um den Hals legt - und ich lasse es geschehen.
»Ich freue mich darauf É«, höre ich noch ihre Stimme, bevor sie von ihrem Gemahl weggeführt wird.
Der Festakt, die Feier, das abschließende Gespräch mit dem Herzog erlebe ich, als ob ich abwesend wäre. Das Einzige, was immer und immer wieder vor meinem inneren Auge erscheint, ist diese Frau, von der ich zu träumen beginne. Eine Signora, die jedoch plötzlich in weite Ferne gerückt ist, weil eine hohe Mauer zwischen uns steht. Madonna Flaminia. Flaminia, die Unerreichbare. Doch mein Innerstes weigert sich, das zu glauben É

Rom, 16. Juni 1651

I
n symmetrischer Harmonie steht der fruchtbare Garten des Palazzo Pamphili in voller Blüte, und die Vorstellung des irdischen Paradieses wird in diesem Hain für mich fühlbar wie noch an keinem anderen Ort. Stammt nicht die Menschheit aus einem dieser Gärten? Ist nicht der Garten der Aphrodite auch ein Ort des Lebens? Meine Lebenslust ist geweckt, und Lebenslust erfüllt die Menschen um mich herum mit Liebe, Musik, Theater und Zweisamkeit. Die Düfte der Blüten steigern das Feingefühl meiner Sinne bei Tag und besonders bei Nacht - was allerdings die Pein nur noch zu steigern vermag.
Die Zeit des unabsehbaren Wartens lässt den herrlichen Frühling für mich zu einer Qual werden. Zerronnen sind meine Hoffnungen auf eine schnelle Wiederbegegnung mit Signora Flaminia Triva. Ich kann es mir im Nachhinein kaum erklären, warum sie mir im Palazzo Massimi so freudig begegnete, als sei ich ihr genehm und mein Ansehen als Meister der Malerei ihr hochwillkommen. Doch ich habe mich offenbar getäuscht.
Warum nur, warum wird Esquivel, wenn ich ihn zur Casa di Flaminia schicke, mit Ausreden vertröstet ohne ein einziges klärendes Wort? War sie nicht begierig darauf, mich in ihr Atelier einzuladen? Oder war ihre Zuneigung nur vorgetäuscht oder eine flüchtige Laune?
Immerhin konnte ich in Erfahrung bringen, dass Signora Triva weder erkrankt noch verreist ist É
Warum nur bin ich bereit, mich langsam aber sicher zum Narren machen zu lassen?
Selbstzweifel plagen mich. Was will ich eigentlich? Was träume ich mir da zusammen? Ich, dessen Zeit in Rom begrenzt ist, mache mir Hoffnungen auf die Eroberung einer Frau, auf die ich kein Recht habe und die für mich verboten sein muss.
Doch was für eine Frau! Die Erinnerung an sie facht das Feuer in mir stets aufs neue an, und es gibt nichts, aber auch gar nichts, was es löschen könnte. Gegen alle Einwendungen der Vernunft beginne ich ihr Bild zu vergöttern, auch wenn mich ihr Schweigen martert. Ach, warum höre ich nichts? Warum muss sie allein die Begehrte und kann nicht selbst die Begehrende sein?
Das Warten auf eine Nachricht von ihr ist an diesem Vormittag kaum noch zu ertragen. Ein Mischung aus Wehmut, Erregung und Neugier quält mich unentwegt. Ich fühle mich wie ein Jüngling, dessen Herz sich vor Sehnsucht verzehrt. Nur die Gewissheit kann mich heilen. Ich will daher nichts unversucht lassen und habe Esquivel erneut beauftragt, die Lage zu erkunden.

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 12.04.2005