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»Bambulla« und der
»erste ehrliche Nazi«

Jöllenbeck wehrt sich gegen die amerikanischen Panzer

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Als Wehrmachtsoldaten im März 1945 in Jöllenbeck Panzerdeckungslöcher ausheben, glaubt Karl-Heinz Laker an ein Manöver. Als am 2. April, 15 Uhr, die erste Granate detoniert, weiß der 13-Jährige: Der Krieg ist da. »Erst später erfuhr ich, wie knapp Jöllenbeck an einer Katastrophe vorbeigeschrammt war.«

Die erste Panzersperre befindet sich an den Mühlenbachteichen, in der Kurve der Beckendorfstraße, die letzte an der Herforder (heute: Eickumer) Straße. Die Amerikaner gedenken innerhalb von Minuten da durchgerauscht zu sein, zur Weser, nach Berlin. »Aber am Ostermontag waren alle Stellungen besetzt, dann kam der Befehl ÝFeuer freiÜ, und binnen Minuten war in dem Qualm nichts mehr zu sehen«, erinnert sich Laker. Die Jöllenbecker glauben, »die zwei, drei Panzer schießen wir gerade mal ab.«
»Noch kurz zuvor stand im Ortskern ein mit Waffen vollgeladener Kübelwagen mit SS-Leuten, die mich fragten, ob ich nicht das Vaterland verteidigen wollte.« Da wurde dem 13-Jährigen doch ein wenig mulmig, und er lief nach Hause in die Straße Auf der Weihen.
Überrascht vom heftigen Widerstand, schlichen die GIs durch die Gärten; hinter jeder Ecke konnte ein Schütze lauern. Vier Tote gab es auf deutscher Seite, Laker hat sie sterben sehen, einen von ihnen einen langsamen, qualvollen Tod, weil den Verletzten niemand zu versorgen wagte.
Die ersten, die aufgaben, waren die Volkssturmleute. Dann die Wehrmacht: »An der Amtsstraße, beim Fuhrunternehmen Böckstiegel, stand eine Scheune, in die gingen die Uniformierten hinein und kamen nach fünf Minuten in Zivil wieder heraus.«
Jetzt machten die Sieger Jagd auf die NS-Prominenz. »Ein baumlanger Offizier und zwei GIs führten Ortsgruppenleiter Waldemar Meyer zu Jöllenbeck ab«, erinnert sich Laker. Amtmann Oskar Flors verschaffte sich einen besonderen Abgang: »Er begrüßte die Amis in voller Montur, riss den Arm hoch und rief zackig ÝHeil Hitler!Ü Da hat ihm der Offizier gesagt, er habe erst vom Rhein bis nach Jöllenbeck marschieren müssen, bevor er den ersten ehrlichen Nazi getroffen habe.«
Der diskreditierte Flors kehrte irgendwann zurück, doch nicht für lange. »Ich erinnere mich an eine Zeitungsannonce aus dem Jahr 1950«, sagt Jöllenbecks langjähriger Bezirksvorsteher Günter Tiemann. »Darin stand: ÝAllen Jöllenbeckern ein ewiges Lebewohl. Wir fahren nach dem sonnigen Süden.Ü Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört . . .«
Der Kampf um Jöllenbeck dauerte Stunden. Überall mussten Widerstandsnester ausgeräuchert werden. Das brauchten sich die haushoch überlegenen Amerikaner nicht gefallen zu lassen. »Ein Offizier hat mir später erzählt, er hätte sich die Sache höchstens noch eine halbe Stunde angeguckt - dann hätte er die Air Force bestellt«, berichtet Laker. »Und dann wäre Jöllenbeck in Schutt und Asche gefallen.«
So kam die Gemeinde mit einem blauen Auge davon. Manch einer im Wortsinne: »Ich sah betrunkene GIs, die einem Ortsfremden im schwarzen Gestapo-Ledermantel ein Veilchen gehauen hatten und ihn vor ihrem Jeep zum CVJM-Haus an der Schwagerstraße trieben. Dort wurde er unter einen Kirschbaum gestellt, Wäscheleine über einen Ast und um seinen Hals und dann straff gezogen.«
Laker, der mit seinen 13 Jahren Tote und Leichenteile gesehen hatte, wurde Zeuge einer Scheinhinrichtung. »Aber wir waren ja alle in Richtung Abenteuer erzogen worden. Wir nahmen nichts mehr richtig ernst. Da war nur Neugier, alles war spannend.«
Die ersten »Neger«. Zwei Colts im Halfter, Zigarette im Mundwinkel. Soldaten, die sich im Stahlhelm wuschen. Walter, der im Sitzen, das MG lässig im Schoß, den Verkehr an der Kreuzung Jöllenbecker/Dorfstraße regelte. Ein Koch, der Laker eine Packung Chesterfield-Zigaretten schenkte (er gab sie seinem Onkel). Soldaten, die ins Haus polterten und Schränke aufschießen wollten, zu denen der Schlüssel fehlte (ein anderer rief »no! no!«, und die Möbel blieben unversehrt). »Wir haben die Gefahr nicht empfunden«, versichert Laker.
Der erste Jöllenbecker, der die weiße Fahne hinausgehängt hatte, war der Bäcker Hans Brinkmann an der Beckendorfstraße. Zu früh: Die NS-Obrigkeit saß noch im Sattel, und Brinkmann wurde im Keller des Amtshauses eingesperrt. Tiemann erzählt: »Aus einer Luke heraus schallte es dauernd: ÝWilli, hal mi hier root!Ü«
Und Willi, der schon erwähnte Fuhrunternehmer Böckstiegel, ein vierschrötiger Kerl, den die Kinder »Bambulla« riefen, guckte, ob wohl auch alle NS-Größen verhaftet waren, schnappte sich eine Brechstange und holte den Bäcker raus. Glück musste man haben in jenen gefährlichen Tagen.
Am Dienstag lesen Sie: Jugend im Krieg - Günter Tiemann »plaudert aus der Schule«.

Artikel vom 31.03.2005