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»Musste irgendwann passieren«


Zu dem Unfall auf der Herforder Straße, bei dem am Karfreitag eine Frau starb und neun Menschen verletzt wurden, schreibt eine Bielefelderin, die etliche Jahre die illegalen Autorennen vor Ort erlebt hat.

Man hörte es jetzt an jeder Ecke: »Irgendwann musste so etwas ja mal passieren . . .« Ich habe jahrelang an der Tankstelle das Theater miterlebt. Tage, an denen wir mit Höchstbesetzung versuchten, die Leute vom Hof zu kriegen. Beklaut und beschimpft wurden, die Tankstelle aber auch nicht schließen durften . . .
Jahrelang haben die Anlieger sich am folgenden Tag um die »Hinterlassenschaften« der so genannten »Tuningfans« gekümmert, da der gesamte Unrat auf die Bürgersteige und die Blumenbeete geworfen wurde. Von der Lärmbelästigung, die durch so genannte Kavalier-Starts und der grölenden Masse ausgeht, gar nicht erst zu sprechen. Zeiten, in denen die Behörden versuchten, dem damaligen Pächter die Verantwortung für das Geschehen zuzuschieben.
Erst ein Brief des Pächters an den Oberbürgermeister und den damaligen Polizeipräsidenten wendete das Blatt dahingehend, dass zuverlässig mit der Unterstützung der Polizei zu rechnen war. Einer Polizei, die versucht die Szene auszuhebeln, indem Platzverweise ausgesprochen werden, die ohnehin keiner befolgt. Über Bußgelder wird gelächelt, bzw. auch noch damit geprahlt. Die Straße wird (auch für die Allgemeinheit) ganz oder teilweise gesperrt, damit dann der Treffpunkt zur nächsten Straße verlegt wird. Frustrierte Beamte, die wissen, dass ihnen unter dem Strich nichts anderes übrig bleibt, als den Chaoten hinterher zu fahren, weil die rechtliche Handhabe eher gering ist. Beamte, die sowieso schon Überstunden bis zum Abwinken haben und aus Steuergeldern bezahlt werden.
Ich habe erlebt, wie Motorradfahrer sich vor der jubelnden Masse produzierten, indem sie auf dem Hinterrad fuhren, um wenige Momente später in der Einfahrt der Tankstelle zu liegen . . . Gut, dass die Einfahrt freigehalten wurde, sonst hätte es da vermutlich schon Verletzte gegeben. So war es nur peinlich für den Motorradfahrer.
Es sind die Zuschauer, die die Fahrer der getunten Autos anfeuern und allein durch ihre bloße Anwesenheit den Reiz der Fahrer, sich zu produzieren, ansprechen. Ohne Zuschauer kein Imponiergehabe. Jeder, der sich bei illegalen Rennen an die Straße stellt, ist sich des Risikos, welches er eingeht, bewusst. Ähnliche Unfälle hat es in anderen Städten bereits gegeben, es ist darüber berichtet worden. Eigentlich sollte doch jeder durchschnittlich intelligente Mensch in der Lage sein, daraus einen Erfahrungswert abzuleiten . . . Jetzt stehen Blumen und Kerzen an der Straße, und spätestens nächste oder übernächste Woche werden die gleichen Leute am gleichen Ort sein, um die Erlebnisse des 25. März zu »verarbeiten«.
Die einzigen, die nicht dabei sein werden, sind vermutlich die, die im Krankenhaus liegen, wo sie auf Kosten der Allgemeinheit behandelt werden, vielleicht fehlen noch deren direkten Freunde, die sich Gedanken über das Geschehen machen, aber das war es auch schon. Und sicher wird auch noch irgendein cleverer Anwalt Ansprüche bei der Versicherung durchsetzen, um unter dem Strich dafür zu sorgen, dass die Versicherungsprämien erhöht werden. Der Fahrer des Corsa kann froh sein, wenn die Alkohol-Probe nicht nur positiv war, sondern hoch genug ausgefallen ist, da ja dann die Zurechnungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist und ein milderes Strafmaß zu erwarten ist . . .
Das alles mag in Anbetracht der Tragik des Geschehens ironisch und hart klingen. Leid tun mir die Verwandten der jungen Frau, die getötet wurde. Ich würde mir wünschen, dass möglichst viele der jungen Zuschauer, die wöchentlich in ganz NRW von einem Rennen zum nächsten reisen, sich überlegen, welche Dynamik sie unterstützen, indem sie sich an die Straße stellen. Welche Belastung sie für die Allgemeinheit sind und vor allem auch, welches Risiko von dem »Spaß« ausgeht. Es sind bereits mehrfach Unbeteiligte in Gefahr gebracht worden, nur weil sie halt zufällig auf der Straße gingen oder fuhren, als der Startschuss gegeben wurde. Leider wird das ein frommer Wunsch bleiben, da ja das Motto »no risk, no fun« (ohne Risiko keinen Spaß) gilt . . .

ANDREA BÜNEMANNBielefeld

Artikel vom 30.03.2005