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Bodenreform-Opfer gescheitert

Straßburger Urteil: Alteigentümer erhalten keine höhere Entschädigung

Straßburg (dpa). Die Bundesrepublik muss enteignete Großgrundbesitzer in Ostdeutschland nicht höher entschädigen als bislang festgelegt. Das geht aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hervor, der gestern in Straßburg die Entschädigungsklagen von 71 Opfern der Bodenreform in den Nachkriegsjahre zurückwies.

Die Beschwerdeführer im Gerichtssaal reagierten geschockt auf den Richterspruch, der frühere Urteile des Bundesverfassungsgericht zu diesem Komplex bestätigte. Erleichterung hingegen beim Bund: Bei einer Verurteilung in Straßburg hätte die Bundesrepublik Deutschland mit einer Klageflut und Forderungen in Milliardenhöhe rechnen müssen.
Mit der Entscheidung ist ein Stück deutscher Nachkriegsgeschichte und eine der umstrittensten Fragen nach der Wiedervereinigung juristisch abgeschlossen, denn gegen das Urteil der Großen Kammer können keine Rechtsmittel eingelegt werden.
Nach Auffassung der Straßburger Richter ist die Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung nicht verpflichtet gewesen, für die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949 sowie danach in der DDR einen Ausgleich in Höhe des heutigen Verkehrswertes der Ländereien zu leisten. Sie könne weder für die Handlungen der sowjetischen Besatzungsmacht noch die der DDR verantwortlich gemacht werden.
Zudem habe das Gericht den einmaligen historischen Kontext der Wiedervereinigung sowie die ungeheuren Aufgaben berücksichtigt, die beim Übergang von einem kommunistischen Regime zu Demokratie und Marktwirtschaft zwangsläufig anfielen.
Die Bundesregierung hatte in dem Verfahren auf die hohen Kosten der Wiedervereinigung hingewiesen und sich auf den Einigungsvertrag berufen, nach dem die Enteignungen nicht rückgängig gemacht werden könnten.
Nach dem Urteil der Straßburger Richter hatten die Kläger auch nach der Wiedervereinigung keine berechtigte Erwartung auf Rückgabe ihrer Güter oder auf Ausgleichsleistungen. Die Höhe der Beträge, mit denen die Beschwerdeführer rechnen durften, seien eindeutig im Entschädigungs- und Ausgleichsgesetz (EALG) von 1994 festgelegt.
Gegen dieses Gesetz waren die Kläger vor Gericht gezogen und hatten die Bundesrepublik Deutschland auf Rückgabe ihrer Ländereien oder - wenn das Vermögen bereits veräußert wurde - auf eine höhere Entschädigung verklagt. Denn das EALG sieht einen Ausgleich vor, der nur einen Bruchteil des heutigen Verkehrswertes der Immobilien ausmacht.
Unter der Losung »Junkerland in Bauernhand« hatten nach 1945 Tausende Großgrundbesitzer und Industrielle entschädigungslos ihr Land und ihre Immobilien verloren, einige wurden pauschal als Nazis bezeichnet und als Kriegsverbrecher vertrieben.
Insgesamt wurden 3,2 Millionen Hektar enteignet, schätzt der Klägeranwalt und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen (AfA), Albrecht Wendenburg. Etwa 850 000 Hektar befänden sich bis heute in Staatsbesitz.
Nach Ansicht der Kläger verstößt die Bundesrepublik damit gegen das Eigentumsrecht der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Bundesregierung begrüßte das Urteil hingegen.
»Das Gericht hat die Rechtsauffassung der Bundesregierung eindeutig bestätigt«, sagte die Prozessbevollmächtigte Almut Wittling-Vogel vom Bundesjustizministerium. Die Europäische Menschenrechtskonvention gelte für die Enteignungen nicht, weil sie erst 1953 in Kraft trat und ihr die DDR nicht beigetreten war, betonte Wittling-Vogel.
Aktenzeichen 71916/01, 71917/01 und 10260/02Seite 4: Hintergrund

Artikel vom 31.03.2005