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Mit 50 Pfennigen ins Theater

Die Volksbühne - seit 100 Jahren Partner der städtischen Bühnen

Von Uta Jostwerner (Text)
und Bernhard Pierel (Foto)
Bielefeld (WB). Kultur für alle! Mit dieser Forderung der alten Arbeiterbewegung wurde vor 100 Jahren die Volksbühne in Bielefeld gegründet. Sie war nach Berlin die zweite Theaterorganisation in Deutschland, die sich aktiv dafür einsetzte, damals verschlossene Kulturbereiche sämtlichen Schichten zu öffnen.

Kaum zu glauben, aber wahr: Noch um die Jahrhundertwende sahen es die Stadtoberen gar nicht gerne, wenn Arbeiter kulturelle Veranstaltungen besuchten. Erst langsam fand ein Umdenken statt. »Die Volksbühne ist damals nicht durch einen Urknall entstanden«, verdeutlicht daher auch Bernd Link, ihr derzeitiger Vorsitzender.
Bereits 1901 war durch einzelne Kooperationen eine Annäherung zwischen Volk und Kunst versucht worden. Ende des Jahres 1904 kam ein Teil gewerkschaftlich und sozialistisch geschulter und gebildeter Arbeiter zusammen und bekundete die Meinung, dass die Volksbildung eine feste Institution bekommen sollte. Prominentester Befürworter war der Reichstagsabgeordnete und Bevollmächtigte des Metallarbeiterverbandes Carl Severing, der bei der Gründung der Volksbühne zur treibenden Kraft wurde.
Ein Jahr nach der Einweihung des Stadttheaters wurde 1905 die »proletarische Theater-Besucherorganisation« unter dem Namen Volksbühne gegründet. Der Monatsbeitrag wurde auf 10 Pfennig festgelegt, bei Veranstaltungen mussten 50 Pfennig pro Karte zugezahlt werden.
Während der Weimarer Zeit gerieten die Theater in eine Krise. Als Folge wurde das Stadttheater in eine GmbH umgewandelt. 51 Prozent hielt die Stadt, der Rest wurde auf Volksbühne und Theaterabonnenten aufgeteilt. Während der Nazizeit war die Volksbühnen-Bewegung in Deutschland verboten. Erst 1947 trafen sich auf Einladung von Carl Severing mehrere Herren im Lokal Viertmann, um die Volksbühne wieder zu gründen. Zugleich fand eine Öffnung hin zu anderen gesellschaftlichen Gruppen statt. Seither steht es jedem Bürger zu, über die Volksbühne Theaterkarten zu beziehen. Mitglieder zahlen 140 Euro im Jahr und können dafür zehn Veranstaltungen des Drei-Sparten-Hauses besuchen. »Welche Vorstellungen ausgewählt werden, wird demokratisch auf der Mitgliederversammlung entschieden«, erläutert Jürgen Schnadwinkel, Geschäftsführer der Volksbühne, der schon auf den nächsten Termin am 29. April verweist.
Zu Spitzenzeiten zählte die Volksbühne 1400 Mitglieder. Schwund brachte das Fernsehen, und auch der Intendantenwechsel Heiner Bruns/Regula Gerber sowie der Umbau des Stadttheaters haben laut Bernd Link die Zahl der Mitglieder auf derzeit 1100 schrumpfen lassen.
Dabei liegen die Vorteile einer Mitgliedschaft auf der Hand, wie Inge Selle, stellvertretende Vorsitzende, erläutert: »Die Karten werden zugeschickt, es gibt gegenüber regulären Theaterkarten erhebliche Preisnachlässe, und wir versorgen unsere Mitglieder mit Informationen zu den Stücken.«
Die Klassiker im Schauspiel sind traditionell stark nachgefragt, aber auch gegenüber Uraufführungen erweist sich die Volksbühne gemäß ihrem Bildungsauftrag als aufgeschlossen. Intendant Michael Heicks weiß dies besonders zu schätzen und freut sich zudem über bis zu 13 000 Karten, die die Volksbühne jährlich abnimmt.
Nebenbei beschränkt sich die Volksbühne nicht darauf, die jeweiligen örtlichen Theater zu besuchen, sondern bietet zusätzliche Kulturfahrten und Museumsbesuche an. So war man in den vergangenen Jahren in Dresden, Verona, Salzburg, Meiningen, Berlin, Naumburg und Altenburg.
Das Jubiläum wird am Samstag, 17. April, 15 Uhr, mit einem Festakt in der Oetkerhalle gefeiert, wobei sich eine Operettengala eigens für die Mitglieder der Volksbühne anschließt.

Artikel vom 30.03.2005