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Alte Chöre gehen
ganz neue Wege

Strategien gegen Sängerschwund

Von Elke Wemhöner
Bielefeld (WB). Die einen fassen in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung den Beschluss zur Auflösung des Vereins, die anderen geben sich noch eine »Schonzeit«. Wenn die Zahl der Aktiven drastisch sinkt, droht Gesangvereinen das »Aus« - wie der »Liedertafel O2« Ubbedissen und der »Waldeslust« Lämershagen.


»Die Chöre haben Nachwuchssorgen - vor allem bei den Männerstimmen«, bestätigt Ingeborg Weber, Vorsitzende des Sängerkreises Ravensberg. »Wenn ein Chor zu klein ist, kann er keine eigenen Konzerte mehr bestreiten. Und damit fehlen Erfolgserlebnisse.« Ein »Chorsterben« kann sie allerdings nicht ausmachen, mehr eine Verlagerung auf andere Anforderungen und Ausrichtungen.
»Gospelchöre haben großen Zulauf. Ihr flottes, poppiges Programm zieht vor allem junge Leute an.« Zulauf verzeichnen nach ihrer Beobachtung auch Projekt-Chöre, die auf ein bestimmtes Programm hinarbeiten oder die Aufführung eines Werkes planen und sich anschließend wieder auflösen. Hier erkennt Ingeborg Weber den Zeitgeist: die Verpflichtung - womöglich auf einen Verein - wird von sangesbegeisterten Zeitgenossen gemieden.
Es gibt allerdings auch Regionen mit gegenteiligem Trend. Im Siegerland erleben die Gesangvereine einen Boom, neue Chöre entstehen - und gehen auch mit Ernst an große Aufgaben. Ihre Aktivitäten und die Teilnahme an Wettbewerb zu Meisterchor-Ehren sprechen für sich. »Ich frage mich manchmal schon, ob das, was wir hier beobachten, ein städtisches Problem ist«, sagte Ingeborg Weber.
Einen guten Weg sieht sie in dem Bestreben von Chören, deren Aktivenzahl dahin schmilzt, sich Partner zu suchen. Ein gelungenes Beispiel dafür ist die Chorgemeinschaft Schildesche-Brake. Sie entstand aus dem Volkschor Schildesche und der Chorgemeinschaft Brake. Man kannte sich vom Stiftsmarkt Schildesche und vom beliebten »Offenen Singen«, fühlte vorsichtig vor und entschloss sich schließlich auf beiden Seiten zur »Chorhochzeit«. Die Vorbedingungen waren zudem günstig, weil das Repertoire sehr ähnlich war. Und alles weitere ist dem unermüdlichen Einsatz einiger Aktiver zu verdanken. Allen voran die beiden Frauen, die sich jetzt den Vorsitz teilen: Helga Obermann (Schildesche) und Lilo Trachte (Brake).
Das Beispiel wird Schule machen: auch der MGV Germania und der MGV Sieker wollen zusammengehen. Der Termin steht bereits fest, es ist der 1. Juli 2005. Und Hannelore Obermann hatte bereits vor Jahren ihre Kollegen in anderen Vereinsvorständen ermuntert: »Seid mutig und werdet aktiv, bevor es zu spät ist.«
Für den Männergesangverein »Liedertafel 02« Ubbedissen, der seinen beliebten Dirigenten Friedhelm Beckmann durch Tod verloren hatte, war der Auflösungsbeschluss eine schwere Entscheidung. Man sei nicht mehr singfähig und leide unter dem zu hohen Altersdurchschnitte, hatte Karl-Heinz Föste im Spätherbst 2004 die Probleme auf den Punkt gebracht. Der Gemischte Chor »Waldeslust« Lämershagen lässt das Vereinsleben ruhen, steuert aber auch auf die Auslösung zu.
Mangelndes Interesse am Singen kann Ingeborg Weber nicht feststellen. Es gibt in Bielefeld zahlreiche Chöre, die mit modernem Repertoire auch junge Leute ansprechen. Vereinsstatus haben sie allerdings selten.

Artikel vom 30.03.2005