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Die CDU hat ihrem früheren
Vorsitzenden Kohl verziehen

Der »Kanzler der deutschen Einheit« wird am Sonntag 75 Jahre alt

Von Detlef Rudel
Berlin (AP) Seinen 70. Geburtstag musste Helmut Kohl im Jahr 2000 ziemlich einsam feiern. Denn die damals von ihm ausgelöste Parteispendenaffäre hatte die CDU in eine tiefe Krise gestürzt, und die Herde hatte den »alten Kampfelefanten«, wie er sich selbst bezeichnete, verlassen.
Paderborns Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt verlieh Helmut Kohl 1999 die »St.-Liborius-Medaille«. Foto: Stefan Hörttrich
Helmut Kohl und seine inzwischen verstorbene Ehefrau Hannelore im Jahr 1999.
Besuch bei der Truppe: Helmut Kohl 1985 in einem Geländewagen.Fotos (2): teutopress

Am Sonntag wird der »Kanzler der deutschen Einheit« 75 Jahre alt. Und die Herde ist zu ihrem Leittier zurückgekehrt, stolz und dankbar, den langjährigen Kanzler und Staatsmann von Weltruf wieder einen der ihren nennen zu dürfen. Die Spendenaffäre ist nicht vergessen, aber vergeben. Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat für Mitte April zu einem Symposium in Berlin geladen. Dort werden Repräsentanten aus dem In- und Ausland die Verdienste des Altkanzlers würdigen und besonders bedeutsame Stationen seines Lebens aus ihrer Sicht beschreiben.











CDU-Chefin Angela Merkel, die als Generalsekretärin Ende 1999 in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) die Abnabelung der Partei von Kohl als Führungsperson einleitete, besiegelt die Versöhnung in der Geburtstags-Ausgabe der KAS-Monatszeitschrift »Die Politische Meinung«. Auf 640 Zeilen würdigt sie Kohls Verdienste um die deutsche Vereinigung und das europäische Einigungswerk. Und sie lobt ihn als bedeutenden Parteiführer. Auf die Spendenaffäre verwendet Merkel gerade mal neun Zeilen. Es sei eine bittere Zeit gewesen. »Aber wir haben sie überwunden und unsere Lehren daraus gezogen. Die historische Leistung des Politikers Helmut Kohl kann sie ohnehin nicht angreifen.«
Zu den Gratulanten in der Festschrift gehört auch der ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow. Dieser schildert, wie tief beeindruckt er vom Kanzler bei der ersten Begegnung Ende 1988 in Moskau war: »Die Aufrichtigkeit und Offenheit des Kanzlers imponierten mir ... Persönlich spürte ich, dass von Vertrauen und Zusammenarbeit geprägte Beziehungen mit diesem Mann möglich sind.«
Nach dem Ende der Spendenaffäre und ihrer juristischen Aufarbeitung - ein Ermittlungsverfahren gegen Kohl wurde gegen ein Bußgeld von 300 000 D-Mark eingestellt - schien es um den Altkanzler ruhig geworden zu sein. Aber der Schein trog. Kohl ist ein unverändert gern gesehener und regelmäßig mit viel Beifall bedachter Gast auf CDU-Veranstaltungen überall im Land.
2004 auf dem Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in Oldenburg wurde der Altkanzler umjubelt und mit nicht enden wollendem Beifall gefeiert. Auch auf internationalem Parkett ist Kohl weiter aktiv. So wurde er erst Anfang März in Moskau vom russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einer 90minütigen Unterredung empfangen. Auch mit Gorbatschow und dessen Nachfolger Boris Jelzin traf er dort zusammen.
Selbst nach dem härtesten Schicksalsschlag seines Lebens zog sich Kohl nur für kurze Zeit zurück. Im Juli 2001 nahm sich seine Frau Hannelore, mit der er seit 1960 verheiratet war und zwei Söhne hat, aus Verzweiflung über ihre lange Krankheit das Leben. Die 68-Jährige hatte viele Jahre lang wegen einer Lichtallergie das Haus nur nach Einbruch der Dunkelheit verlassen können.
Helmut Kohl, am 3. April 1930 in Ludwigshafen geboren, trat 1946 der CDU bei, und seine Parteikarriere verlief linear bis zum Bundesvorsitz, in den er am 12. Juni 1973 gewählt wurde. 1969 wurde er Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, und 1982 wurde er beim Misstrauensvotum gegen SPD-Kanzler Helmut Schmidt zum Regierungschef in Bonn gewählt. Es blieb es 16 Jahre lang.
Kohls Art zu arbeiten nannte man »Politik mit der Strickjacke«: Im kleinen Kreis ohne Etikette Eckpunkte festklopfen. Vor großem Publikum machte er nicht immer eine gute Figur. So sprach er von Deutschland als »kollektivem Freizeitpark«, versprach Ostdeutschland zu pauschal und früh »blühende Landschaften« und beanspruchte beim Besuch Israels für sich die »Gnade der späten Geburt«, der Nicht-Zugehörigkeit zur Generation der Holocaust-Täter.













Kohl hat etwa 30 Ehrendoktorhüte und ist Ehrenbürger Europas. Den Ehrenvorsitz der CDU hatte er abgeben müssen, weil er sich unter Berufung auf ein gegebenes Ehrenwort weigerte, die Namen von Millionen-Spendern zu nennen. In den 27 Jahren, in denen er gewählter Vorsitzender der CDU war, hatte er ein innerparteiliches Patriarchat installiert, »System Kohl« genannt. Zu dem gehörten die schwarzen Spendenkassen.
Die schwarzen Stunden der Partei aber werden dem Patriarchen zum 75. Geburtstag nicht nachgetragen. In demselben Heft, in dem Merkel und Gorbatschow gratulieren, schreibt der JU-Vorsitzende Philipp Mißfelder: »Was ... zählt, ist das Große, das Bleibende. Daher treten begangene Fehler oder Randaspekte zur Seite.«

Artikel vom 01.04.2005