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Ein Musterbeispiel
ingeniöser Gesangskunst

Oratorienchor brillierte mit Bachs Johannes-Passion

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Mit einer fulminanten Aufführung der Johannes-Passion hat der Oratorienchor dem Karfreitag die Krone aufgesetzt. Die zahlreichen Bach-Liebhaber, die die Gelegenheit nutzten, sich in der gut besuchten Oetkerhalle aufs Osterfest einstimmen zu lassen, waren am Ende regelrecht hingerissen.

Das konnte man wohl auch sein. Denn Hartmut Sturm, der erfahrene Kirchenmusiker und Kenner der Johannes-Passion, konnte seinen um Mitglieder der Bielefelder Singschul erweiterten Oratorienchor noch besser als sonst zu Höchstleistungen motivieren. Und der Enthusiasmus, mit dem die Sänger und Sängerinnen ihren anspruchsvollen Part und ihre dramaturgische Schlüsselrolle erfüllten, war nicht nur deutlich spürbar, sondern schwappte vom ersten Ton an in den Saal rüber.
Das Publikum jedenfalls durfte sich delektieren an durchgängigem Artikulationsschliff sowie klangschöner Transparenz und Stimmbalance. An einem kraftvollen Eingangschor, der in geschmeidiger Melismatik daherkam, an lyrischen, wunderbar dynamisch ausgestalteten Chorälsätzen und an ungemein »knackig frischen«, prägnanten und reaktionsschnellen Turbachören, die somit eine atemberaubend dramatische Wirkung entfalteten, der man sich unmöglich entziehen konnte. Unnachahmlich etwa dieses pulsierende Wispern in »Lasset uns den nicht zerteilen« mit seinen dynamisch gesetzten Akzenten - um nur ein Beispiel ingeniöser Gesangskunst zu nennen.
Hartmut Sturm wählte für den Chor frische Tempi und reihte ansonsten Nummer um Nummer zügig aneinander, auf dass der Eindruck eines spannenden Musikdramas entstand, welches auf der anderen Seite aber auch Anrührung, Mitleid, Versenkung und Trost enthielt.
Maßgeblicher Anteil am positiven Gesamteindruck kommt dem Philharmonischen Orchester zu, das höchst motiviert seinen Part erfüllte, im Continuo stimmig zusammenarbeitete und darüber hinaus über vorzügliche Solisten verfügte.
Christoph Rösel (Tenor), gestaltete seine Evangelisten-Partie ausdrucksstark und konnte anfängliche Enge in den Höhenlagen im Laufe der Aufführung vollständig überwinden. Frederik Martin (Jesus-Worte) gewann ebenfalls später dazu und konnte seinen dunklen Bass frei gestaltend einsetzen. Höhepunkte der Betrachtung steuerte Franz Gerihsen bei, warm timbriert und gefühlvoll nicht nur als Pilatus, sondern auch in seiner Bass-Arie »Betrachte, mein Seel«. Yvi Jänicke (Alt) ließ tiefen Trauerflor einfließen in der Arie »Es ist vollbracht«, kongenial von der Solo-Bratsche umspielt. Lediglich Christa Maier (indisponiert?) ließ es an gewohnter Durchschlags- und Leuchtkraft etwas mangeln.
Alles in allem aber eine höchst niveauvolle und einfallsreiche Werkwiedergabe, die vom Publikum mit langem, begeistertem Applaus bedacht wurde.

Artikel vom 29.03.2005