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Dem leidenden Papst
versagt die Stimme

Sorge um den Zustand des Schwerkranken wächst

Rom (dpa). Dramatische Szenen auf dem Petersplatz: Trotz verzweifelter Anstrengung ist es Papst Johannes Paul II. am Ostersonntag nicht gelungen, den Segen »Urbi et Orbi« (Der Stadt und dem Erdkreis) zu sprechen.
Vor den Augen von zehntausenden Gläubigen und den Fernsehkameras rang der Schwerkranke Minuten lang vergeblich um die Kraft für einige Worte. Doch statt der kurzen lateinischen Segensformel war lediglich ein Stöhnen zu vernehmen. So beschränkte sich das Oberhaupt der katholischen Kirche darauf, mit der Hand das Kreuzzeichen zu machen und den Segen wortlos zu spenden.
Am Ostermontag zeigte sich der immer hinfälligere Papst erstmals in seinen 26 Amtsjahren nicht den Gläubigen. Die Ärzte hätten selbst von einem kurzen Auftritt am Fenster seiner Wohnung abgeraten, berichtete das italienische Fernsehen weiter. »Der Papst ist müde«, hieß es. Vier Wochen nach seinem Luftröhrenschnitt wird damit die Sorge um das Schicksal des 84-Jährigen immer größer.
Die etwa 70 000 Menschen auf dem Petersplatz am Ostersonntag waren tief bewegt, viele klatschten Beifall, viele konnten die Tränen nicht verbergen. »Mir krampft sich das Herz zusammen«, beschrieb ein junger Deutscher seine Emotionen. Vier Wochen nach seinem Luftröhrenschnitt wird mit dem Geschehen vom Ostersonntag die zunehmende Hinfälligkeit des 84-Jährigen immer deutlicher. »Ein wahres Aufbäumen«, meinte ein deutscher Theologe in Rom. »Ein stummer Papst«, kommentierte das italienische Fernsehen.
Erstmals in seinen 26 Amtsjahren konnte das Oberhaupt der Katholiken nicht an den Osterritualen in Rom teilnehmen. Er musste die sonntägliche Messe, die Osterwache Samstagnacht sowie den Karfreitags-Kreuzweg ausfallen lassen. Seit der Entlassung aus dem Krankenhaus vor zwei Wochen, als er zum bisher letzten Mal öffentlich einige Worte sprach, verschlechtert sich sein Zustand. Inoffiziell verlautet in Rom, er erhalte seit einiger Zeit flüssige Nahrung.
Der ergreifende Auftritt des einstigen »Medienpapstes« Johannes Paul am Sonntag wurde von 104 TV-Sendern in mehr als 70 Länder der Welt übertragen. Der Papst zeigte sich am Fenster seiner Wohnung über dem Petersplatz. Er wirkte abgemagert, geschwächt und ungewöhnlich unruhig, schien aber geistig klar und präsent. Während Kardinal- Staatssekretär Angelo Sodano die päpstliche Osterbotschaft vorlas, hob Johannes Paul mitunter den Redetext in die Höhe.
Der apostolische Segen »Urbi et Orbi« ist eines der feierlichsten und bekanntesten Riten der römisch-katholischen Kirche. Er muss vom Papst als Bischof von Rom und als Oberhaupt der Weltkirche selbst gespendet werden. »Der Wille ist da, der Segen ist daher gültig«, kommentierte ein deutscher Theologe in Rom. Experten im Vatikan sprechen von einem »stummen Segen«.
Der Papst trägt seit der Operation am 24. Februar zur Erleichterung des Atmens eine Kanüle im Hals, die das Sprechen erschwert. Seine Parkinson-Krankheit verschärfen die Atem- und Sprechprobleme zusätzlich. Offiziell hüllt sich der Vatikan über die Verschlechterung der Gesundheit in Schweigen. Als der Papst Anfang Februar bereits schon einmal zehn Tage wegen Atemnot im Krankenhaus war, gab es Gerüchte über einen möglichen Rücktritt.
Die Ostergrüße, die der Papst ansonsten in mehr als 60 Sprachen verliest, fielen am Sonntag aus. In seiner von Kardinal Sodano verlesenen Osterbotschaft forderte der Kirchenführer Frieden in den Krisengebieten der Welt. »Frieden für die Staaten des Nahen Ostens und Afrikas, denn auch dort dauert das Blutvergießen an; Frieden für die ganze Menschheit, die immerzu der Gefahr der Bruderkriege ausgesetzt ist.«

Artikel vom 29.03.2005