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Der Tod ist nicht mehr sicher

Ostergedanken von Alfred Buß, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen

Präses Alfred Buß: »Seit Ostern hat der Tod seinen giftigen, endgültigen Stachel verloren.«
Das Sicherste im Leben ist der Tod. Darum ist mächtig, wer mit dem Tod paktiert. »Ihr liebt das Leben. Wir lieben den Tod.« Dieser erschreckende und verheerende Satz stammt aus dem Bekennervideo der Attentäter von Madrid. Wer den Tod zu seinem Kumpanen macht, der scheint oben zu schwimmen und das Leben im Griff zu haben. Denn nichts ist so sicher wie der Tod. Das zeigen uns die Schlagzeilen und Bilder an jedem neuen Tag.
Der Tod ist uns sicher. Was bleibt uns anderes, als ihn etwas erträglicher zu machen? Vor allem Frauen haben sich zu allen Zeiten in fast allen Kulturen darum gekümmert: Sterbende pflegen, Leichname waschen, Tote beweinen, Gräber schmücken.
So waren auch am Ostermorgen Frauen unterwegs, um den Leichnam Jesu zu salben. Eine Frage begleitete sie: »Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?« Auf den ersten Blick ist das eine unscheinbare Frage, in Wirklichkeit aber verbirgt sich dahinter ein Felsbrocken, dem keiner gewachsen ist: Wer rollt dieses Menschheits- und Welträtsel beiseite; wer legt frei, was es mit dem Tod auf sich hat? Wer kann die Macht des Todes brechen, wer diesen schweren Brocken stemmen?
Eine Vielzahl von Gewichthebern bietet heute Hilfe an: Wiedergeburt, sagen die einen, Einfrieren und auf medizinischen Fortschritt, hoffen die anderen. Manche esoterische, philosophische oder religiöse Brücke in ein Jenseits, das alles Schwere hinter sich lassen soll, wirkt verlockend. Die Sterbeforschung hat in den letzten Jahrzehnten Verdienstvolles geleistet. Sie hat vieles über das Sterben zu Tage gefördert. Über das Sterben, nicht über den Tod.
Über all diesen Debatten zeigt der Tod weiter sein hässliches und triumphierendes Gesicht. Er regiert diese Welt und bekommt immer wieder recht: Dem tödlichen Terror will man beikommen mit tödlichem Krieg.
Die Frage aber bleibt: »Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?«
Was in der Ostergeschichte folgt, ist Entsetzen. Der Stein ist weg. Die Frauen am Grab blicken ins Leere. Es ist kein Leichnam mehr da. Zwar wird ihnen erklärt, was das zu bedeuten hat. »Er ist nicht hier. Er ist auferstanden.« Aber wo ist er? Eine Welt bricht für die Frauen zusammen. Das Sicherste im Leben, der Tod, ist aus den Angeln gehoben. Der Tod ist nicht mehr sicher. Nichts wie weg! Panisch vor Angst rennen sie davon. Wenn der Tod nicht mehr sicher ist, dann steht die Welt auf dem Kopf.
Was mag in den Frauen vorgegangen sein, als das Entsetzen allmählich von ihnen wich? Als ihnen langsam dämmerte: Gott hält Wort. Der Liebhaber des Lebens, der Freund und Anwalt der Zu-kurz-Gekommenen und Leidenden, lebt. Jesus hat zeitlebens Menschen aus dunkler Krankheit befreit und sie ins Leben zurückgeholt. Nun ist er selbst nicht im Tode geblieben. Der lebendige Gott hat sich mit dem zu Tode Gefolterten identifiziert. Die gewalttätigen und mächtigen Sieger der Geschichte behalten nicht das letzte Wort. Die Kollaborateure des Todes werden entmachtet, und die Opfer stehen auf.
Das bedeutet doch: Wir müssen uns nicht mehr an dem Stein der Todesmacht verheben. Gott selbst hat den Brocken beiseite gestoßen und ihm sein Gewicht genommen. Christ ist erstanden.
Müssen wir dann nicht mehr sterben? Hat der Tod, haben Mörder in dieser Welt keine Macht mehr? Doch. Wir müssen sterben. Alles Leben hat ein Ende. Und Leben kann auf fürchterliche Weise getreten, geschändet und vernichtet werden. Wir erfahren es immer wieder. Aber seit Ostern hat der Tod seinen giftigen, endgültigen Stachel verloren. Der Tod ist nicht mehr sicher. Denn er kommt nicht mehr allein. Mit ihm kommt sein mächtiger, nein, sein übermächtiger Begleiter. Mit ihm kommt Gott, die Quelle des Lebens.
Wenn Gott kommt, dann geht es nicht irgendwie weiter, weder im Leben noch im Tod. Wenn Gott kommt, dann werden Tränen abgewischt, dann werden Hungernde satt, wird kaputtes und zerstückeltes Leben heil.
Darum müssen wir dem Tod nicht die große Aufmerksamkeit schenken. Wir müssen uns nicht einfrieren lassen. Wir müssen den Tod nicht bezwingen. Erst recht müssen wir nicht mit ihm paktieren. Wir können uns dem Leben zuwenden, Leben schätzen, die Vielfalt der Schöpfung bewahren, uns dafür einsetzen, dass alle leben können, überall auf der Welt. Wer sich dem Leben zuwendet und Leben fördert, der nimmt zugleich dem Tod Einfluss und Macht.
So wünsche ich allen Leserinnen und Lesern frohe Ostern und grüße Sie mit dem urchristlichen Osterruf: Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!

Artikel vom 25.03.2005