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Signore Velázquez! Hofmaler des Königs von Spanien!«, werde ich ihm vorgestellt.
Ich nicke stumm.
»Sei willkommen in Rom, mein Sohn«, sagt er mit knarrender Stimme.
»Ich danke unserem Herrn für die Gnade und Eurer Heiligkeit für die Ehre, in den Vatikan bestellt zu werden«, erwidere ich angemessen.
»Ja, die Wege des Herrn É«, erwidert der Papst schmunzelnd. »Don Diego, meine Zeit ist bemessen«, erklingt wieder diese knarrende Stimme. »Begleite mich in den Garten.«
Eine kleine Handbewegung, und die Gruppe der Geistlichen zieht sich wortlos zurück.
»Hier können wir uns in frischer Luft bewegen.« Als wir beginnen, auf kleinen verschlungenen, buchsbaumgesäumten Wegen unsere Runden zu ziehen, eröffnet Seine Heiligkeit das Gespräch mit einer Feststellung:
»Gott hat dich mit einem begnadeten Talent ausgestattet! Er gab dir eine ungewöhnliche Gabe, Menschen zu erfassen, die für mich an ein Wunder grenzt. Es ist nicht einfach zu entscheiden, wer auf den Leinwänden lebendiger wirkt. Ist es meine Schwägerin Olimpia, der launige Barbier Michelangelo, mein stoischer Secretarius oder der gewitzte Mayordomo Segni. Wie machst du das?«
»Ich denke weniger über das Wie nach, sondern verlasse mich auf meine Beobachtungen. Jeder Mensch ist, für sich genommen, Gottes einmalige Schöpfung. Die Auswahl wurde mir zudem abgenommen.«
»Das war gewiss Donna Olimpias Werk«, erwidert er mit einem wissenden Lächeln.
»Ja, es war ihr Wunsch É«
Gemächlich schlendern wir an Blumenrabatten entlang hin zur anmutigen Loggia des Gartencasinos, danach die Treppen herunter zum Wasserbassin und kreisen zweimal um die frisch erblühten Blumenbeete in ihren leicht trapezförmigen Einfassungen herum. Daraufhin gehen wir entlang einer Geraden auf und ab und halten manchmal an, was mir Gelegenheit gibt, meinen Begleiter in wechselnder Beleuchtung, im offenen Sonnenlicht wie im Schatten zu studieren. In Abständen bleibe ich ihm gegenüber stehen und ziehe mein Skizzenpapier heraus. Er versucht dann geduldig, seinen bald versonnenen, bald heiteren Gesichtsausdruck für meine Beobachtung zu bewahren. Ich versuche, die Grundform seiner breiten Stirn mir einzuprägen, die tief eingemeißelte Augenpartie, die schlaffe Haut um die intensiv beobachtenden, kalt blickenden Augen.
Aber ich halte seinem Blick stand, weil ich alles an ihm als Muster von Linien, von Farbwerten und Helligkeitsabstufungen wahrnehme. Ich frage mich, ob auch ich das Gesicht des Papstes als hässlich empfinde, wie es mir andere Menschen beschrieben haben. Angeblich soll sein unvorteilhafter Gesichtsausdruck beim Konklave ein Argument seiner Gegner gegen seine Wahl gewesen sein. Sie sollen von seinen dämonischen Zügen gesprochen haben. Aber weder die gerötete Gesichtshaut noch der dünne Kinnbart stoßen mich ab. Die Augenhöhlen, die kräftig ausmodellierte Nase, die zurücktretende, breite Unterlippe, sie erscheinen vielmehr wie die Formationen eines Gebirges, das ich wie ein Forscher zu vermessen habe.
Zwischen in sich gekehrtem Sinnen und Brüten zeigt der Fünfundsiebzigjährige spontanes Temperament. Er springt auf und eilt mir um Schritte voraus; er beobachtet den Himmel, die Bäume und erfreut sich an den blühenden Blumen. Wir stehen und gehen, schweigen und reden über die Welt, wie man sie sieht und wie man sie nicht sehen kann, ähnlich zwei Studenten, die sich von ihren unterschiedlichen Auffassungen erzählen. Er fragt völlig unbefangen und fordert mich auf, über meine Mission in Italien zu berichten. »Was führt dich nach Rom? Welchen Auftrag erfüllst du im Namen Seiner Majestät? Was hast du erreicht?«, prasseln die Fragen auf mich nieder.
Kurz und bündig erzähle ich ihm von meinen Anstrengungen, meinen Niederlagen und Siegen.
»Und wie weit bist du gekommen?«
»Dreißig lebensgroße Antiken, dazu einige der glanzvollsten Bildhauerarbeiten der Gegenwart.«
»Respekt! Das ist ja ein ganzer Olymp!«
»Das hat auch viele Monate in Anspruch genommen. Nun fehlen nur noch die Figuren aus der Sammlung Eurer Heiligkeit.«
»Dank meiner Schwägerin ist es dir ja gelungen, dort einzubrechen und zu wildern!«, antwortet er lachend. »Doch ist der Vorgang nicht bemerkenswert? Ein Stück der Ewigen Stadt Rom wird so nach Madrid verpflanzt. Ich denke, dass dies für unsere römischen Bildhauer eine einmalige Gelegenheit ist, ihr Können unter Beweis zu stellen!«
»So empfinde ich es auch.«
Wenig später betrachten wir das Sprudeln des Wassers in den Brunnen vor dem Gartenkasino. Angenehme Kühle geht von diesem Platz aus.
»Ein Platz zum Verweilen!«, bemerke ich.
»Ja, hierher ziehe ich mich manchmal zurück, wenn es die Zeit erlaubt. Doch nun folge mir bitte. Ich werde dir den Raum zeigen, den Mayordomo Segni für unsere Sitzungen vorbereitet hat.«
Eilfertige Diener springen, Türen werden uns aufgehalten. Über Lagen von Teppichen schreiten wir in eine kleine Bibliothek.
Dort stehen nahe dem Fenster drei markante Möbel: Ein hoher Lehnsessel mit den gepolsterten Armlehnen, ein niedrigerer Holzstuhl nebst zwei kleinen Ablagetischen, sowie eine stabile, breite Staffelei.
»Vorbildlich!«, lobe ich die Aufstellung.
Ein Diener zeigt mir einen Nebenraum, in dem ich meine Werkstatt von Juan werde einrichten lassen. Hier wird er ungestört die Farben reiben, Farbpasten zurechtmischen und die Pinsel reinigen können, ohne dass meine Arbeit mit dem Papst gestört wird.
»Soll ich mich zur Probe setzen?«, fragt mich mein Modell, als wir wieder allein sind.
»Bitte!«, sage ich wie beiläufig, während ich mir den Entwurf des Bildes vorstelle. »Das Licht ist hier wunderbar hell.«
»Was ist, wenn ich ermüden sollte?«, fragt mich der Papst vordergründig.
»Mein König lässt immer einen Vorleser kommen. Dann ist es wie im Refektorium.«
»Dann werde ich es deinem König gleichtun. Willst du prüfen, wie es sich hier sitzt?«
»Ich muss das sogar prüfen. Schließlich sollte ich wissen, ob Eure Heiligkeit für längere Zeit darauf bequem sitzen kann.«
Schließlich tauschen wir die Plätze. Wichtig ist vor allem die Blickrichtung, die es aus der Blickrichtung des Modells zu überprüfen gilt. Am liebsten arrangiere ich Fixpunkte, auf die sich die Augen des Modells während der Sitzung konzentrieren können. Kaum dass ich sitze, habe ich auch schon einen gefunden: »Heiliger Vater, wenn Ihr von hier aus etwas seitwärts seht, wird Euer Blick dort auf das Bücherregal fallen. Es ist von Vorteil, wenn Euer Auge davon einen einzelnen Buchrücken fixieren würde.«
»Das werden aber auch die einzigen Hilfen sein, die ich befolgen werde É«, antwortet er scherzhaft.
Am Ende betrachte ich noch ein herrlich modelliertes Elfenbeinkruzifix auf dem gegenüber liegenden Sekretär. Daneben entdecke ich einen gefüllten Briefständer und zwei zierliche Kerzenhalter. Als sich mein Auge über mehrere reich gerahmte Heiligenbilder zur Decke hinauftastet, bleibt es an einem breiten Schriftband mit einer fein geschnitzten Ornamentik hängen. ÝMATT. 10.16.Ü kann ich entziffern.
Ich stehe schließlich auf und blicke ein weiteres Mal rätselnd dort hinauf.
»Alle Weisheit steht in der Heiligen Schrift. Die gerahmten Worte dort oben werden vom Evangelisten Matthäus berichtet«, löst Seine Heiligkeit das Rätsel für mich auf.
»Ihr ertappt mich bei einer Wissenslücke. Ich wäre sehr froh, wenn Eure Heiligkeit diese Lücke mit den Worten der Bibel schließen würde.«
»Du sollst sie von mir hören, jedoch mit der Auflage, sie nie mehr zu vergessen!«, erwidert er mit erhobenem Zeigefinger. »ÝSeht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben.Ü«
Kaum sind seine Worte verklungen, hält er mir seinen Ring zum Kuss hin. Ich stehe auf und verneige mich.
»Übermorgen, zwei Stunden vor dem Mittagsläuten, wirst du mich hier finden«, vernehme ich wieder die knarrende Stimme, die sich während unseres Gespräches unbemerkt in eine weichere Tonlage verändert hatte. Als er den Raum verlassen hat, fühle ich mich wieder wie ein Schaf mitten unter Wölfen É


XI. Flaminia und Diego

Aus den Erinnerungen
des Diego Rodríguez de Silva y Velázquez
Rom 1650

Rom, 26. Mai 1650

Erwartungsvoll betrete ich erstmals den herrlichen Palazzo Massimo alle Colonne. Beim Anblick der säulengetragenen Fassade werde ich mir bewusst, dass ich vorangekommen bin. Voran nach oben. Endlich bin ich in Rom dort angelangt, wo ich in überschaubarer Ferne den gleißenden Gipfel des Gelingens meiner Mission erkennen kann. Und ich hoffe, mich wieder einige Schritte darauf hinbewegen zu können.
Heute folge ich der Einladung von Fürst Camillo Massimi in den Hauptpalast seiner Familie. Es ist ein besonderer Tag, nämlich der fünfundfünfzigste Jahrestag des Todes des heilig gesprochenen Filippo Neri, der in diesem Jahre mit dem Fest der Himmelfahrt Christi zusammenfällt. Zur Erinnerung an die wundervolle Auferweckung eines Sohnes seines Urgroßvaters durch den in ganz Rom geliebten Heiligen lädt der Fürst an diesem Tage zu einem festlichen Empfang. An den Empfang wird sich sodann in der Votivkapelle eine Gedenkfeier anschließen.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 08.04.2005