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Doch will ich die Gunst der Stunde nutzen: »Können Sie einen Kontakt zu den Verwaltern und Haushofmeistern für mich herstellen? Ich müsste Zugang zu den großen Sammlungen von griechischen und römischen Figuren haben.«
Nach einer Weile des Überlegens erwidert mein Gegenüber: »Das ist, bei Gott, nichts Alltägliches. Ich kann Sie freilich gleich hier gegenüber in der Congregazione di Propaganda Fide empfehlen. Ich bin mir sicher, dies wird Sie weiterführen. Wie wollen Sie danach weiter vorgehen?«, fragt er interessiert.
Knapp schildere ich ihm das, was stetig und intensiv dabei ist, mir seit meiner Ankunft in Genua und Italien die Kraft zu rauben. Ich betone, wie sehr ich lohnende Empfehlungen brauche.
»Lassen Sie mir bitte eine Aufstellung Ihrer gewünschten Kontakte zukommen. Vielleicht ergibt sich daraus ein neuer Weg. Schließlich gibt es in Rom Kardinäle, die der spanischen Krone treu ergeben sind. Außerdem lasse ich Ihnen einen Empfehlungsbrief an Kardinal Carciroli schreiben. Das kann nie schaden.«
»Hat die Botschaft Kontakte zu Agenten, welche die römischen Kirchen, Klöster und Adelssammlungen kennen und wissen, wo etwas Bedeutendes zum Verkauf steht?«
Seine Exzellenz schüttelt als Antwort bedächtig sein Haupt.
Mit einem ungeduldigen Blick auf seinen Sekretär drängt er zur Eile. »Die Zeit drängt, Señor Velázquez. Haben Sie noch ein Anliegen?«
Seine Frage kommt mir sehr gelegen. Ich denke an ein Ei im Nest, aus dem rasch etwas schlüpfen muss, denn darin dreht und wendet sich ein Gedanke wie ein Aal: »Ja, ich habe noch ein Anliegen. Ein wichtiges dazu! Ich bitte Sie um einen Brief an den Vizekönig Oñate in Neapel.«
»Was soll darin zum Ausdruck gebracht werden?«
»Dass mir die vom König angewiesenen Gelder unverzüglich ausgezahlt werden!«
»Miguel, entwerfen Sie ein entsprechendes Schreiben an den Vizekönig, und bringen sie es heute noch auf den Weg«, gibt er seinem Sekretär Order.
Ich bedanke mich daher herzlich, auch im Namen des Hofes von Madrid.
»Ich versuche alles für Sie zu tun. Señor Velázquez, Sie können alles von mir erwarten, was in meiner Macht steht«, dröhnt er selbstbewusst.
In mir erwacht ein Kämpfer, der eine Strategie formt. Im Zielpunkt meiner Pläne verdichtet sich eine Vision, die sich auf den Führer der Christenheit konzentriert. Herr über dich ist der, der das in seiner Macht hat, worauf du dein Herz gesetzt hast É, schießt mir der Gedanke des griechischen Gelehrten Epiktet durch den Kopf. Inzwischen kenne ich diese Macht aus zahllosen Gesprächen bis ins allerkleinste Detail. Im Hinausgehen setze ich daher alles auf eine Karte. »Exzellenz, können Sie als Botschafter Spaniens mir eine Audienz beim Heiligen Vater vermitteln?«
Er blickt mich erstaunt an. Ich spüre, ich habe ihn endgültig überbeansprucht. »Señor Velázquez, Sie verlangen von mir, dass ich das Meer teile!«
»Der Vogel hat seinen Schnabel, der Löwe seine Pranke! Ich halte Sie für einen Löwen É«
»Oh, der Vergleich schmeichelt mir. Doch jeder benutzt, was seiner Natur entspricht. Unsere Möglichkeiten sind nicht so unwiderstehlich zwingend, wie Sie sich das offensichtlich wünschen. Wir können es mit einem Brief versuchen. Wenn Sie Glück haben, reicht es zu einer Gruppenaudienz. Dann können Sie den Papst wenigstens aus der Nähe betrachten. Doch schon die Einflussnahme auf den Zeitpunkt liegt außerhalb unserer Möglichkeiten.«
»Gestatten Sie mir eine Frage?«
»Nur zu!«
»Haben Sie mit dem Heiligen Vater schon einmal gesprochen?«
»Selbstverständlich! Mehrfach. Ich überbrachte einen Brief unseres Königs. Die Botschafterempfänge im Quirinalsgarten nicht eingerechnet.«
»Was würden Sie mir raten?«
»Sie sind ein vom König geschätzter Maler, wurde mir mitgeteilt! Vielleicht können Sie einen der kunstsinnigen Kardinäle für sich gewinnen und dessen Herz mit Ihrem Talent erfreuen. In Rom wird Unmögliches möglich. Vielleicht schaffen Ihre Farben das, was kein Brief vermag. Ich denke, den Erfolg, den Sie suchen, finden Sie woanders. Jedenfalls nicht hier in diesen Mauern.«
»Ich danke Ihnen. Ihre Offenheit ist nicht zu übertreffen. Doch was für einen Eindruck haben Sie von Ihrer Begegnung mit dem Heiligen Vater mitgenommen?«
»Er ist ein eindrucksvoller Mann: sehr alt und zugleich ganz jugendlich.«
Als ich durch das Hauptportal des Palazzo di Spagna in das Freie trete, beginnt für mich erneut die Suche nach Schritten, die der Sache meines Königs Erfolg und mich meinem Ruhm und Glück näher bringen.

Rom, 25. April 1650
Die Kutsche rollt im strahlenden Licht des Vormittags über das Pflaster der Ponte SantÕAngelo. Das harte Rumpeln und Rütteln empfinde ich eher als einen heftigen Beifall für meine Hartnäckigkeit. Nun ist es so weit. Die Dinge haben sich so gefügt, wie ich es mir inbrünstig erhofft habe: Ich werde heute mit dem Heiligen Vater zusammentreffen. Das Oberhaupt der Christenheit, der Herrscher über den großen Staat der Kirche, der Bischof von San Giovanni in Laterano und Vorsteher der Bischöfe von Rom erwartet Diego Velázquez. Nicht in der Entfernung vom Altar zur großen Gemeinde eines feierlichen Hochamtes, nicht in der Menge der vielhundertköpfigen Audienzen im Vatikan oder im Quirinalsgarten, wo die Gläubigen versuchen, den Mantel des Nachfolgers Petri zu berühren. Nein, zu einem Kennenlernen zweier Personen, zu einem Spaziergang in den Gärten des Vatikans und zu einer Vorbesichtigung der Räume, in denen das Bildnis Seiner Heiligkeit entstehen soll. So steht es fast wörtlich in dem Brief, der mir vor drei Tagen überbracht worden ist.
Seitdem kreisen meine Gedanken um den Ablauf der kommenden Stunde. Weder kann ich mir die Umstände des Treffens vorstellen noch die Art der persönlichen Begegnung, geschweige denn die Konversation mit dem Stellvertreter Gottes auf Erden. Was könnte er mich fragen? Was wird er von mir wissen wollen? Fragen und Antworten schwirren mir gleichzeitig durch den Kopf.
Doch unabhängig von all dem, was nicht im Voraus zu planen ist, werde ich ihn beobachten und dabei seine Erscheinung in ein imposantes Gemälde zu fassen versuchen. Ich bin mir jetzt schon sicher, dass mir eine beeindruckende Inszenierung einfallen wird. Danach werden sich mir die letzten Tore zu den Kunstschätzen des Vatikans wie von selbst öffnen. Seine Erwartungen an meine Kunst sind hoch, so sagte mir die Papessa. Nicht auszudenken, was geschieht, wenn das Bildnis seine Bewunderung finden und die von Kardinälen und Fürsten auf sich ziehen wird! Die Ehrungen werden dazu führen, dass ich bald zwischen Aufträgen aus Rom und Madrid werde wählen können. Ja, ich werde, nein, ich muss den Papst für mich gewinnen. Erst dann werde ich auch über den Intrigen des Madrider Hofes stehen É
»Velázquez wurde vom Papst beauftragt, sein Bildnis zu malen!«, wird man sich bei Hofe zuraunen, was auch der Besserwisser in Kunstfragen, der Graf Malpica, zur Kenntnis wird nehmen müssen, der sich immer wieder erdreistet, sich in meine Belange einzumischen. Schließlich wird der König von mir wissen wollen, was der Papst mit mir gesprochen hat. Möglich, dass er mich sogar als seinen persönlichen Botschafter in Rom auserwählt É
Die Kutsche hält, und der Wagenschlag wird mir geöffnet. Ich habe nur meine Zeichenstifte und Kreiden sowie ein Bündel von Papierblättern mitgenommen. Auf diesen werde ich alles das festhalten, was mein Auge bei Seiner Heiligkeit an besonderer Ausstrahlung wahrnimmt. Die beste Art, sich möglichst schnell mit seinen Gesichtszügen vertraut zu machen.
Die Wachen der Schweizergarde treten zur Seite, und ein Begleiter führt mich über Treppen und Gänge, entlang an bunt mit Grotesken bemalten und mit Stuckornamenten verzierten Wänden, durch mehrere prächtige Portale, wo wir immer wieder von Wachen angehalten werden. Schließlich gelangen wir in einen schmucklosen, nur mit Marmorplatten ausgekleideten hellen Raum, dessen Türen sich zu einem großen, grünen Garten hin öffnen. Vor diesem schönen Ausblick, einem wahrhaftigen Belvedere, mit welchem Namen sich das Gebäude zu Recht schmückt, werde ich gebeten, Platz zu nehmen. Ich genieße den Moment des Alleinseins, während meine Begleiter das Eintreffen melden.
Nicht lange, und die Tür neben mir öffnet sich. Herein kommt eine Gruppe von fünf Geistlichen in schwarzem Habit, die beiderseits des Durchgangs zur Seite treten, um einer kantigen Gestalt von hohem Wuchs in rotem Camauro und roter Mütze Platz zu machen. Mit ausholenden, energischen Schritten kommt dieser für sein fortgeschrittenes Alter sehr kräftig wirkende Mann auf mich zu.
Er hebt den rechten Arm, streckt mir die Hand entgegen. Ich sinke auf die Knie. Während ich seinen Ring, ein viereckiges Juwel in schwerer Goldfassung, mit meinen Lippen berühre, dringen die vertrauten Worte an mein Ohr: »Laudetur Jesus Christus!«
»Amen!«, flüstere ich ergriffen.
Als ich mich wieder erhebe, blicke ich in ein äußerst waches Gesicht. Flinke Augen mustern mich. Ein wenig steifnackig wirkt er, und in der Art, wie er mich beäugt, hat er etwas von einem Reptil. Etwas Eisiges im matten Blau seiner Augen wirkt außerdem unangenehm durchdringend. Unerbittlich, zäh und abwartend! Das sind die Attribute, die sich mir bei seinem ersten Anblick aufdrängen.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 07.04.2005