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Feiertagsgeschäfte bringen Segen!«, knurrt die Contessa unzufrieden.
Mit einer kurzen Verbeugung verabschiede ich mich.
Nachdem sich die Hoftore hinter uns geschlossen haben, wende ich mich versöhnlich an Olivetti: »Es musste sein, mein Guter. Mein König duldet keine zusätzlichen Ohren, wenn es um seine Belange geht. Doch sagen Sie mir, wer gab Ihnen den Hinweis auf mich und mein Logis?«
»Der Hinweis kam aus Venedig.«
»Meinen Sie Paolo de Sera oder einen Barbier am Rialto namens É«
»É diese Personen kenne ich nicht«, fällt er mir ins Wort.
»Wer dann?«, bohre ich weiter.
»Verzeiht, ich kann Ihnen den Namen nicht sagen. Nur so viel: Sie ist eine herrliche Frau!«

Rom, 31. Mai 1649

V
on meiner Übernachtungsherberge an der Piazza del Populo wandere ich leichten Schrittes durch eine lange, nach Südosten führende Straße und genieße den warmen Morgensonnenschein. Ich fühle mich glücklich, allen Reisegefahren entronnen und an einem zentralen Punkt dieser Erdenwelt angekommen zu sein. Hier in Rom habe ich alle Möglichkeiten, die noch unerfüllten Wünsche meines Königs zu erfüllen. Hier wird sich mein Schicksal als Berater und Maler meines Königs entscheiden.
Wann ist man in Rom angekommen? Rom ist keine gewöhnliche Stadt, wo man mit dem Einlass durch die Stadtmauer schon das wesentliche Ziel erreicht hat und in kurzen Ausflügen Besitz nehmen kann vom Rest. Ist man angekommen, wenn man die Kuppel von Sankt Peter das erste Mal vor sich sieht? Wenn man das erste Mal über den Tiber gegangen ist? Oder wenn man den Quirinal erstiegen hat? Oder wenn man die schwere Tür einer der großen Pilgerkirchen aufgedrückt hat?
Vor langer Zeit war ich zwar schon einmal hier, doch jetzt komme ich als ein anderer, mit anderen Erwartungen. Die Weltstadt Rom habe ich damals als Bau- und Schauwunder gesehen, von außen, wie die vielen Tausende der Pilger. Meine Freude ist auch diesmal groß, denn ich werde mich wieder von einem ehrwürdigen Ort zum anderen bewegen und die Schöpfungstaten des menschlichen Geistes in mich aufnehmen. Ich bin mir sehr bewusst darüber, dass ich im Namen des Königs die Ewige Stadt am Tiber betrete, als jemand, der Kunstwerke sammelt und Aufträge vergibt.
Dieser Aufenthalt wird für mein Ansehen am Hofe Madrids - und deshalb für den Rest meines Lebens - entscheidend sein. Auch darum werde ich bald zu meinem Schutzheiligen Sankt Jakobus in die Kirche aller Spanier gehen, nach San Giacomo degli Spagnuoli. Vielleicht bin ich, Diego Velázquez, dann auf die mir bestimmte Art in Rom angekommen.
Hier in der Weltstadt Rom hoffe ich auf die neidlose Anerkennung meines überlegenen Maltalents. Denn hier spüre ich eine befreiende Atmosphäre des Denkens und Fühlens und mehr Sachverstand, Kunstliebe und Weltläufigkeit als irgendwo sonst É
In der belebten Straße werden gerade die Handwerkerläden geöffnet und die Verkaufsstände für Früchte und Fische und Brot aufgestellt. Ich koste ein Stück Rosinenkuchen und lasse mir den wohltuenden Geschmack auf der Zunge zergehen. Die ersten Bettelkinder strecken ihre Hände aus. Aus Erbarmen opfere ich die Hälfte meines Kuchens.
Der dreistöckige, altertümliche Palazzo di Spagna, Sitz der spanischen Gesandtschaft, wird der Stützpunkt aller meiner weiteren Aktionen in Rom sein. Ich nähere mich den Wachen und weise mich aus, woraufhin mir respektvoll Einlass gewährt wird. Durch das dunkle Treppenhaus werde ich zum offiziellen Empfangsraum hinaufgeleitet. Ich werde freundlich als Landsmann aufgenommen und darf seit langem wieder meinen eigenen Rückzugsort haben: ein ruhiges Appartement mit Fenstern zum Innenhof. Hier werde ich Muße finden zum überlegten Planen. Und von hier aus werde ich Rom erobern.
Mein Ausspannen und Träumen soll jedoch nicht lange dauern. Ein Bote klopft und übergibt mir ein Kärtchen, auf dem ich einen Willkommensgruß finde, eine Einladung zu einer Stärkung in der Mittagszeit und eine freundliche Aufforderung, mich nach der Siesta im Audienzzimmer des Duque del Infantado, Botschafter König Philipps beim Heiligen Stuhl, einzufinden.
Ich will herausfinden, welche Ämter und Personen es im großen Stab der spanischen Vertretung gibt, und benütze die Zeit bis dahin für Erkundungsgänge und Gespräche. Der Palazzo besteht aus langen Korridoren und vielen Zimmern. Hier wird vieles ausgehandelt, was nicht nur die Belange einzelner Untertanen angeht, sondern vor allem die Interessen zweier mächtiger europäischer Staaten, des Kirchenstaats und des spanischen Weltreichs. Kuriere kommen und gehen, und Informanten und Bittsteller aller Art werden zu ihren Ansprechpersonen geschleust. Ich treffe auf auskunftsbereite und freundliche Spanier und Römer, denen ich mich als Beauftragter meines Königs vorstelle. So erfahre ich vieles über die Nöte und Sorgen der Menschen, über Krieg und Politik, aber auch über den Wettstreit und die wechselhaften Bündnisse der Staaten.
Zur vereinbarten Zeit werde ich von einem kundigen Adjutanten zu den vornehmen, hohen Räumen unseres obersten Repräsentanten geleitet. Die Türen öffnen sich ohne Warten, und die Lakaien gleiten geschmeidig zur Seite. Schließlich durchschreite ich die Tür des letzten Vorzimmers in den Audienzraum des hohen Herrn.
Im Gegenlicht erhebt sich eine große, massige Gestalt. »Willkommen, Señor É«, dröhnt mir eine Bassstimme entgegen, die jedoch mit dem »Señor« verhallt. Schließlich blickt er durch ein Okular auf ein Blatt, das ihm ein zur Seite sitzender Sekretär gerade zugeschoben hat, und ergänzt seinen Willkommensgruß durch ein wiederum dröhnendes: »É Velázquez!«
Der Herzog ist der Typ des älter gewordenen Lebemanns, weitgehend kahlköpfig, mit einem nichtssagenden, fleischigen Gesicht auf einem dicken Doppelkinn. Einzig seine Leibesfülle verleiht ihm einen Ausdruck ungebrochener Haltung. Seine hellen, wie erloschen wirkenden Augen versuchen offenbar durch das Okular einen Eindruck von mir zu gewinnen. Jetzt kommt er einen Schritt auf mich zu und neigt freundlich sein Haupt, was ich mit Grazie erwidere. Anschließend nimmt er behäbig wieder seinen Platz ein, lässt mir einen Stuhl bringen und greift sich das vor ihm ausgebreitete Pergament.
»Wie war Ihre Reise, Señor Velázquez?«, fragt er interessiert. »Sind Sie schon lange unterwegs?«
»Seit einem halben Jahr. Ich begleitete erst den Herzog von Nájera«, erkläre ich.
»Ein Verwandter von mir. Er hätte mit Ihnen hierher kommen sollen!«, mimt er alte Freundschaft. »Doch lassen Sie uns zur Sache kommen. Ich sehe, wir haben eine Ankündigung Ihres Kommens zuletzt aus Florenz. Danach erwarten wir Sie hier schon seit Tagen.«
»Exzellenz! Eine Reise über Meer und Gebirge, meilenweit durch unsicheres Gelände zu den Hauptstädten Italiens ist immer aufregend und mit allerlei Gefahren verbunden.«
»Das klingt nicht besonders gut. Doch zum Glück ist Ihnen, wie ich sehe, nichts zugestoßen?«
»Ich hatte Schutzengel, geschickte Schneider und noch bessere Wundheiler, sodass die Spuren der überstandenen Abenteuer getilgt sind.«
»Fonseca, der Sekretär des Königs, hat mir Order gegeben, Sie in allen Belangen zu unterstützen«, sagt der Herzog in etwas resignierendem Ton. Dann räuspert er sich geräuschvoll und spuckt in ein Tuch. »Das wird auch von Nöten sein.«
»Ich bin es inzwischen gewohnt, Ohren und Herzen zu öffnen É«
»Gegenüber Spaniern sind in Rom die Ohren mitunter völlig taub! Aber Sie können auf meine Hilfe rechnen. Wenden Sie sich bei auftretenden Schwierigkeiten jederzeit an meinen Secretario Iniguez«, sagt er und deutet mit einer schlaffen Handbewegung auf den schreibenden jungen Mann neben sich.
»Hoffen wir, dass ich Ihre tatkräftige Hilfe nie in Anspruch nehmen muss!«, erwidere ich ihm zuversichtlich. In Wirklichkeit kann mich an diesem Ort nichts mehr erschüttern, weder die träge Masse des Verwaltungsalltags, noch die meist dahergebeteten Angebote möglicher Unterstützungen. Das Einzige, was zählt, ist Geld. Und davon möglichst viel. Außerdem nützen nur starke Verbündete in einflussreicher Position. Jedenfalls sind das ausnahmslos keine Spanier. Hier wird nichts gehen, was ich nicht mühsamst selbst anstoße! Doch die wichtigste Frage wird auch in Rom sein: Wen alles muss ich zur Erfüllung meiner Mission als Verbündete gewinnen?
»Wie lange werden Sie hier in Rom sein?«, höre ich seine Exzellenz wie von fern fragen.
»Zunächst einmal etwa zehn Tage, um mich umzusehen.«
»Solange steht Ihnen die Unterkunft bei uns zu. Darf ich fragen, welchen Auftrag Sie für unseren König in Rom erfüllen?«
»Es geht um die Ausstattung der Paläste in Madrid. Das wird mich die kommenden Monate in Rom beschäftigen. Ein angemessenes Quartier und eine Werkstatt für meine künstlerischen Tätigkeiten wären mir dabei sehr hilfreich.«
»In beiden Dingen können wir Sie unterstützen«, kommt es zu meiner großen Überraschung ohne Umschweife über seine Lippen. »Außerdem kann die Botschaft gern mit der Ausleihe von Pferden oder einer Kutsche helfen. Womit könnten wir Ihnen sonst noch behilflich sein?«
Ich traue meinen Ohren nicht.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 06.04.2005