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Besserer Schutz vor Sozialabbau

EU-Gipfel beschließt in Brüssel Neufassung der Dienstleistungsrichtlinie

Brüssel (dpa/Reuters/AP). Die vielfach kritisierte EU-Richtlinie zu grenzüberschreitenden Dienstleistungen wird für einen besseren Schutz vor Sozialabbau neu gefasst. Darauf verständigten sich die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfeltreffen gestern in Brüssel.Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Präsident Jacques Chirac haben als Wortführer der Kritiker durchgesetzt, dass neue Regelungen für den EU-Dienstleistungsmarkt gefunden werden.

Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen mehr Wettbewerb auf dem europäischen Dienstleistungsmarkt zulassen, aber nicht auf Kosten der Arbeitnehmer. Die 25 EU-Staats- und Regierungschefs wiesen die Pläne der EU-Kommission gestern weitgehend zurück. »Wir brauchen im Dienstleistungsbereich offene Märkte«, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder. Doch dürfe dies nicht zu Lohn- und Sozialdumping führen. Schröder hatte zu den schärfsten Kritikern des Projekts gehört.
Der Gipfel wies die Forderung europäischer Gewerkschaften zurück, die EU-Kommission zum vollständigen Verzicht auf die Richtlinie zu drängen. Brüssel muss das Papier, das noch von der Vorgängerkommission ausgearbeitet worden war, nun aber deutlich ändern. »Die Richtlinie in der jetzigen Fassung wird nicht Gesetz werden,« betonte Schröder. »Wir werden eine vernünftige Regelung finden, dessen bin ich sicher.« Die EU-Kommission hatte geplant, dass Dienstleister wie Krankenpfleger oder Handwerker im EU-Ausland ihre Leistungen nach den Regeln und Tarifen ihres Heimatlandes anbieten können.
Kritiker wie Schröder befürchteten deshalb Eingriffe in Arbeitnehmerrechte, Sozialdumping und Nachteile für den deutschen Markt, weil ausländische Firmen Leistungen konkurrenzlos billig hätten anbieten können. In der Abschlusserklärung des Gipfels heißt es: »Zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit muss der Binnenmarkt für Dienstleistungen in vollem Umfang funktionieren, wobei zugleich das europäische Sozialmodell zu wahren ist.«
Europa nimmt einen neuen Anlauf in seiner wirtschaftlichen Aufholjagd mit Asien und den USA. Die Staats- und Regierungschefs billigten ihr gemeinsames Wachstumsprogramm bis zum Ende des Jahrzehnts. Mit gezielten Investitionen in Forschung, Entwicklung, Bildung und Verkehr sollen sechs Millionen neue Jobs bis 2010 geschaffen und ein stetiges Wachstum von drei Prozent erreicht werden. Die Halbzeitbilanz dieser 2000 beschlossenen »Lissabon-Strategie« fiel indes mager aus. Europa ist hinter den USA zurückgefallen und weit davon entfernt, die weltweite Wirtschaftsmacht Nummer eins bis 2010 zu überflügeln.
Bundeskanzler Gerhard Schröder begrüßte, dass der Schwerpunkt des Programms auf Forschung und Entwicklung liege. Gemeinsam mit Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und Großbritanniens Premierminister Tony Blair habe er auch klar gemacht, dass alles getan werden müsse, um die Industrie von unnötigen Bürden durch die EU-Gesetzgebung zu befreien.
Beim Gipfel brach ein heftiger Streit über den künftigen EU-Haushalt aus. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac forderte im Blick auf die für Juni geplanten entscheidenden Verhandlungen über die EU-Finanzierung die Abschaffung des 1984 vereinbarten Beitrags-Rabatts für Großbritannien. Der britische Außenminister Jack Straw drohte für diesen Fall mit einem Veto Londons.
Die EU gibt Kroatien eine neue Chance für den Beginn von Beitrittsverhandlungen. Der EU-Gipfel beschloss gestern, demnächst eine Untersuchungskommission nach Kroatien zu entsenden. Die Kommission soll prüfen, ob Kroatien alles unternimmt, den als Kriegsverbrecher angeklagten Ex-General Ante Gotovina zu fassen. Die EU hat die für den 17. März angesetzten Verhandlungen verschoben. Sie will, dass Gotovina an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt wird. Die Regierung in Zagreb behauptet, den Aufenthaltsort von Gotovina nicht zu kennen.
Im Streit zwischen den USA und der EU um Waffenlieferungen an China zeichnet sich weiter keine Lösung ab. Die Staats- und Regierungschefs klammerten das Thema aus, wie der EU-Chef-Diplomat Javier Solana sagte.
Die EU-Staaten haben sich auch auf langfristige Ziele zum Klimaschutz verständigt. Sie forderten die Industrieländer auf, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um weitere 15 bis 30 Prozent zu reduzieren.

Artikel vom 24.03.2005