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Kroatien und Türkei - hier zeigt
sich die Doppelmoral der EU

Absage an Gesprächsbeginn mit Zagreb - Festhalten an Termin mit Ankara

Von Dirk Schröder
Zagreb/Bielefeld (WB). 625 Ersuchen des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag um Kooperation hat Kroatien positiv erledigt, acht von neun Auslieferungsanträgen entsprochen. Zagrebs Ministerpräsident Ivo Sanader bekräftigte zudem die kroatische Bereitschaft, alles zu unterstützen, was zur Ergreifung und Auslieferung des früheren Generals Ante Gotovina, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist, führen könne.

Das sind die Fakten. Dennoch hat die Mehrheit der EU-Außenminister in der vergangenen Woche, wie berichtet, den Start der Beitrittsverhandlungen mit dem Balkan-Staat bis auf weiteres verschoben. Die Außenminister werfen Kroatien vor, nicht uneingeschränkt mit dem Kriegsverbrechertribunal zusammenzuarbeiten. EU-Kommissar Olli Rehn, zuständig für Erweiterungsfragen: »Die EU ist zu Verhandlungen bereit, wenn Zagreb die Voraussetzungen dafür erfüllt.«
Der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Europaparlaments, der Bielefelder CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, hält die Entscheidung der EU für falsch, zumal hier Aussage gegen Aussage stehe. UN-Chefanklägerin Carla del Ponte geht davon aus, dass sich Gotovina in Reichweite der kroatischen Regierung befindet. Sie wirft dem Ex-General die Ermordung von 150 Serben, Plünderungen und Zerstörungen beim Sturm auf eine serbische Enklave im Jugoslawienkrieg 1995 vor. Kroatien dagegen behauptet, es habe keinen Zugriff auf Gotovina.
Brok: »Ich bin zweimal mit Sanader zusammengetroffen und glaube nicht, dass er lügt. Wenn sich dies herausstellen sollte, wäre er doch rasiert.« Seit 2001 ist der Ex-General auf der Flucht. Unbestritten ist, dass er bei vielen Kroaten noch als Volksheld gilt. Niemand wisse aber, ob er sich noch in Kroatien aufhalte. Brok verwies auch darauf, dass Gotovina als früherer Fremdenlegionär nach wie vor gute Verbindungen zu diesen Kreisen habe.
In einem Brief an den amtierenden EU-Ratspräsidenten, den luxemburgischen Regierungschef Jean Claude Juncker, hat Brok betont, dass der außenpolitische Ausschuss vollauf die Notwendigkeit unterstützt, dass alle Länder der Region Südosteuropas mit dem Strafgerichtshof zusammenarbeiten müssen. Aufgrund der Reformmaßnahmen der kroatischen Regierung und des Parlaments sollte der Rat aber einen Weg finden, so bald wie möglich die Verhandlungen zu beginnen.
Brok betonte gegenüber dem WESTFALEN-BLATT, die EU solle Sanaders Angebot annehmen, ein Monitor-Komitee einzusetzen, um die Kooperation mit Kroatien zu überprüfen. Dies sei die sauberste Lösung. »Wenn dieses Komitee zu dem Ergebnis kommt, dass es keine volle Zusammenarbeit gibt, könnten die Verhandlungen nicht begonnen werden bzw. müssten schon begonnene Verhandlungen unterbrochen werden.« Gestern zeigten die EU-Regierungschefs in Brüssel doch noch Entgegenkommen: Sie wollen eine Task Force nach Kroatien schicken, die prüfen soll, ob Kroatien »uneingeschränkt« mit Den Haag zusammenarbeitet.
Der CDU-Politiker hat kein Verständnis für die hier zu Tage getretene Doppelmoral. In der Frage der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei hat Bundeskanzler Gerhard Schröder erst am Dienstag erneut betont, die Beitrittsgespräche würden wie geplant im Oktober beginnen.
Brok: »Die Voraussetzungen für den Beginn der Gespräche sind fast alle nicht gegeben. Seit dem EU-Beschluss für Verhandlungen vor drei Monaten gibt es keinen Fortschritt.« Brok denkt dabei nicht nur an das erschreckend rüde Vorgehen der türkischen Polizei gegen Demonstranten am Weltfrauentag. Der türkische Menschenrechtsverein IHD hat erst dieser Tage in seinem Jahresbericht festgestellt, Menschenrechtsverletzungen in der Türkei hätten noch immer ein »unzumutbares Ausmaß«. Allein 2004 wurden in der Türkei 1040 Menschen gefoltert und misshandelt.
Brok: »Man kann nicht nur immer sagen, es gebe keine systematischen Folterungen mehr, man muss politisch auch danach handeln.« Noch sieht der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in dem Kroatien-Beschluss kein Warnsignal für sein Land.
Doch die Kritik an der Türkei nimmt nicht nur bei Europas christlichen Parteien zu. Wie berichtet, stellt auch der Vorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, den Starttermin für die Beitrittsgespräche in Frage. Und der SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Gernot Erler, sagt: »Die Fortschritte bei den Reformen sind ins Stocken geraten.« Brok sieht in Brüssel eine zunehmend kritische Diskussion über den Starttermin. Er weiß nicht, was passiert, wenn sich die Stimmung nicht verbessert. »Da ballt sich etwas zusammen.«

Artikel vom 24.03.2005