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Distanz, wie sie dabei leicht die Augenlider senkt. Als sie ihre Hand zum Kinn führt, entdecke ich lange Fingernägel und eine feine Maniküre. Am liebsten würde ich in der nächsten Stunde nichts anderes tun, als diese rätselhafte Schönheit zu erkunden. Wenn die Erscheinung des Schönen die Welt verändern kann, dann, so scheint es mir, will dieses Geschöpf ganz gestaltend mit dabei sein. Eine Ikone, die den Strahlenkranz nicht benötigt. Ein Ebenmaß ohne Makel.
Ich bin wohl noch nicht länger als wenige Minuten im Saal, doch mein Atem geht rasch und erzeugt ein seltsames Vibrieren in mir. Aber schon sehe ich Fürst Massimi auf mich zukommen.
»Oh! Signore Velázquez«, begrüßt er mich überschwänglich in seinem sonoren Bariton, während sein großes Gesicht in der Nähe der Mundwinkel den Ansatz von Grübchen zeigt. »Ich freue mich, dass auch Sie meiner Einladung gefolgt sind.«
»Für Eure gütige Aufmerksamkeit meinen herzlichen Dank. Ich bin sehr É«
»Haben Sie schon mit Pietro da Cortona gesprochen?«, fällt er mir ins Wort.
»Nein, doch ich hoffte, ihn hier zu treffen.«
»Er ist hier. Ich konnte ihn schon begrüßen. Er steckt sicher in der Menge. Doch es gibt keine guten Nachrichten für Sie.«
»Was bedeutet das?«
»Sprechen Sie mit ihm selbst. Wir werden später noch Gelegenheit haben, uns darüber auszutauschen.«
Kaum, dass er geendet hat, flüstert ihm ein Lakai etwas zu, was ihn zu einer entschuldigenden Handbewegung veranlasst. Er eilt zur Saaltür und überlässt mich wieder meinen Betrachtungen.
Gerade als ich mich der unbekannten Frau ein wenig nähern möchte, um in einen möglichen Blickkontakt mit ihr zu geraten, vernehme ich die Stimme von Pietro da Cortona neben mir, während ich noch beobachte, wie die Schöne die vergoldete Zimmerdecke betrachtet und dabei schwanengleich ihren Hals reckt.
»Meister Velázquez. Ich hoffte, Euch hier zu treffen«, beginnt er mit unsicherer Stimme. Sein unrasiertes Kinn, der schüttere Bartwuchs über der Oberlippe lassen ihn fahrig wirken. Kräftig wie er gebaut ist, hätte er auch ein Sträfling sein können, der gerade von der Galeere kommt.
»Haben Sie mein Angebot überdacht?«, frage ich ihn ohne Umschweife.
»Habe ich É habe ich É«
»Nun?«
»Wie soll É ich es Ihnen sagen É«
»Nur zu. Habt Mut!«
»Äh! Ja É Sie müssen wissen É Die Arbeiten für die Oratorianer sind so umfangreich, dass ich für Jahre in Rom festgehalten bin«, drängt es aus ihm heraus.
»Der Hof in Madrid bietet Ihnen mehr Möglichkeiten als Rom«, erwidere ich ruhig.
»Das weiß man nie im Voraus.«
»Es ist so. Denkt an die Dukaten. Fünf Jahre Madrid wiegen zehn in Rom auf.«
»Das mag sein. Sie machen mir meine Entscheidung wirklich schwer. Doch daran kann ich jetzt noch gar nicht denken. Ich bin bei meinen Auftraggebern im Wort und habe hier ein Werk zu vollenden. Sie verstehen?«
»Ich verstehe das sehr gut. Doch gibt es genügend neue Werke zu erschaffen. Bedeutendere, ruhmreichere! Die Weltmacht Spaniens ruft nach Ihnen. Seien Sie willkommen in der Residenz unseres Königs.«
»Es ist wirklich nicht einfach É Meister Velázquez, es geht einfach nicht.«
»Schade! Es hätte Ihnen gut angestanden. Alle Ehren bei Hofe wären Ihnen sicher gewesen.«
»Ich werde gern kommen. Bestimmt! Nur etwas später É Vielleicht in ein, zwei Jahren É«, sagt er mit schiefem Mund und entfernt sich, rückwärts gehend, als befürchte er, ich würde den Dolch gegen ihn ziehen. Gott sei Dank habe ich inzwischen gelernt, meine Enttäuschungen mit einem Lächeln zu tarnen. Schließlich verschluckt ihn die Menge.
Sofort nehme ich wieder meine Unbekannte ins Visier. Doch kaum versuche ich mich in ihre Nähe zu drängen, erblicke ich André Félibien, einen französischen Schriftsteller, der über die Maler Italiens schreibt und sich nun schon genauso lange in Rom aufhält wie ich selbst.
»Unsere Wege kreuzen sich beständig, Messer Velázquez«, begrüßt er mich.
»Die Sterne É die Sterne, deren Lauf unsere Bahnen lenkt.«
Während wir uns wie beiläufig über die edlen Figuren meines Freundes Poussin unterhalten, lasse ich die Schöne nicht aus den Augen. Schließlich lenke ich das Gespräch direkt auf sie.
»Monsieur Félibien, kennen Sie die Dame dort vor uns?«
»Natürlich kenne ich sie. Ist sie nicht ein anziehendes Persönchen?«
»Verraten Sie mir ihren Namen.«
»Eine der wenigen Malerinnen in Rom. Ihr Name ist Flaminia Triva.«
»Oh, eine vollendete Römerin!«
»Nein, eine Emilianerin. Ein Gemisch aus einer Nachtigall und einer tugendhaften Tochter.« Er singt die Worte fast. »Unbegreiflich, dass sie erst einundzwanzig sein soll.«
»Wie malt sie?«
»Ganz gut. Heiligenbilder, Porträts, Miniaturen É«
»Ich hätte gern ihre Bekanntschaft gemacht.«
»Sehr gern! Kommen Sie.«
»Nein, nein. Nicht!«, besinne ich mich. »Ich werde es selbst in die Hand nehmen. Habt Dank!«
»Mhm. Wie Sie wollen É«, erwidert Félibien irritiert.
Schon habe ich ihn vergessen, da meine Augen ganz auf Flaminia gerichtet sind. Für einen flüchtigen Moment habe ich den ersten Blickkontakt mit ihr. Es scheint, als verharre sie ein wenig. Langsam schiebe ich mich heran. Wie ich schon ganz nahe an sie herangekommen bin, beginnt sie ihr Gesicht zu berühren und mit ihrem Haar zu spielen.
Da! Ich lächle sie offen an. Auch über ihre Lippen huscht ein kleines Lächeln, doch ist sie nicht bereit, mit mir einen offenen, direkten Blick auszutauschen. Doch entdecke ich in ihrem Ausdruck auch keine Ablehnung. Noch unterhält sie sich. Nun unterbricht sie und lässt wieder ihren Blick über die Menge schweifen. Als ich in ihr Blickfeld gerate, senkt sie scheu den Kopf. Endlich bin ich nah genug heran.
»Signorina Triva?«
Ein schnelles Hochziehen der fein gezogenen Brauen, verbunden mit einem Lächeln und einem Heben des Kopfes, ist die Antwort.
»Velázquez. Diego Velázquez«, verkünde ich meinen Namen.
Sie öffnet leicht ihre fein geschwungenen Lippen und lächelt so rein, als hätte sie in Milch gebadet. »Ich weiß von Euch. Eure Bildnisse entstehen durch eine begnadete Hand. Sie sind wahrhaft unnachahmlich«, erwidert sie mit fröhlicher Stimme.
Ich verbeuge mich leicht, blicke jedoch unverwandt in ihre Augen. Sie sind graublau. Augen sind für mich der Sitz der Seele; denn mag man mit noch so viel Mühe einen Gesichtsausdruck einstudieren, die Augen zeigen immer das wahre Ich. Überdies verspüre ich eine einzigartige Anziehungskraft, als sich unsere Blicke treffen. Leidenschaft, Scharfsinnigkeit und Eifer lese ich in ihrem É
Auch sie forscht in meinen Augen. Ich wüsste zu gern, was sie darin sucht. Ist es Neugier, Interesse an meiner Person É oder - einfach nur ein intensiver Blick, eine unendliche Sekunde zu lang? Doch mich beglückt es, dass ihr Blick etwas länger in meinem ruht. Bevor ich ihr antworte, fixiere ich kurz das Runzelgesicht neben ihr und erziele damit den erwünschten Effekt. Der Signore versteht und verabschiedet sich folgsam.
Als ich mir ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit sicher bin, antworte ich: »Mein Streben geht dahin, die Natur richtig zu erfassen. Sie ist für mich ein nicht erschöpfbares Vorbild. Vielleicht werden meine Bilder dadurch unnachahmlich. Jedenfalls ist sie meine einzige Lehrerin.«
Ihre Augen blitzen mich an. »Ihr sagt es. Wer die Natur nicht kennt, sollte sie besser studieren, bevor er beginnt, sie zu malen!«
»Ja, ich vermeide es, Fische in den Wald zu setzen und Hirsche in die Seen!«
Mit einem ansteckenden, glockenhellen Lachen antwortet sie mir.
»Oh! Das ist gar nicht ungewöhnlich, Signorina Triva. Erst kürzlich betrachtete ich das Oberteil einer Statue. Bis zu den Hüften war sie eine schöne Venus, doch weiter abwärts war alles zu einem Fischschwanz zusammengezogen.«
»Ach, ich denke, der Bildhauer wollte nur etwas Neues erschaffen; vielleicht hat ihn auch nach halber Arbeit seine Muse verlassen«, meint sie erheitert.
»Und er blickte auf einen Fisch auf seinem Teller«, füge ich trocken an. »Das soll mir auch recht sein. Doch mir schien, er hatte nicht begriffen, wie einfältig und seelenlos eine solche Märchenfigur ist.«
»Wer weiß? Vielleicht fehlte ihm die Inspiration, um sein Werk perfekt zu vollenden. Vielleicht ist er so stolz auf seinen Einfall, dass er diesen nun allen anbietet, die eine Brunnennajade oder eine Gartenfigur suchen«, seufzt sie mitfühlend.
»Gut möglich. Aber vielleicht ist er uns auch voraus.«
»Nanu? Was soll das heißen?«
»Bedenkt, sollte es dem Himmel gefallen, uns die neue Wahrheit der Fischweibchen zu offenbaren, dann wird er wie ein Prophet erscheinen, der als Erster auf dem Boden der Erkenntnis steht.«
»Das klingt wie eine Predigt! Meint Ihr, dass ein Maler Dinge genauer als andere erkennen kann?«, fragt sie leise, und ich spüre, dass sie versucht, wiederum in meinen Augen zu lesen.
»In gewisser Weise. Maler sehen tiefer. Aber wenn man die Dinge ergründet, findet man in ihnen selten Glück«, erwidere ich ebenso leise.
»Ihr verwirrt mich, Signore Velázquez. Ich denke, ich bin glücklich, weil ich meine Arbeit, das Malen, liebe«, ruft sie in einer ungewöhnlichen Lautstärke, da das Gedränge der Menschen die einzelne Stimme kaum noch durchdringen lässt. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 11.04.2005