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Per Handschlag für das Vertrauen, mit einer Liste der Maler, nach deren Werken ich suchen soll, und mit viertausend Scudi Vorschuss für meine Arbeit und die meiner Kontaktleute.«
»Par diez!«, seufze ich gekonnt. »Dafür kann ich ein veritables Stück Malerei erwerben!«
»Keines für Euren König, edler Herr! Ihr werdet die Summe vielfach an dem sparen, was meine Freunde und ich heraushandeln können. Und Ihr könnt inzwischen wertvollere Arbeiten verrichten.«
»Zweitausend, nicht mehr!«, sage ich hart.
»Dreitausend! Weil ich Sie außerordentlich schätze!«, kommt es ebenso hart zurück.
»Das ist zu viel!«, halte ich dagegen.
»Bedenkt, nur weil ich Ihren König verehre, verzichte ich auf mein eigenes Viertel!«, sagt Felice leidenschaftlich und beobachtet gleichzeitig meine Reaktion.
Daraufhin blicke ich in den Himmel und beginne zu pfeifen. Wie beiläufig stelle ich ihm die Frage, die jeder Barbier in Venedig versteht: »Was haben Sie sonst noch anzubieten?«
Plötzlich winkt er mich zu sich herab. Scheinbar will er mir etwas in mein Ohr flüstern. Ich tue ihm den Gefallen. »La mattina una messetta, la podisnar una É«, flüstert er mir offensichtlich einen Reim.
»Wo finden wir das Letztere?«
»Ich schreibe Ihnen die Adressen in meinem Laden auf. Dreitausendfünfhundert und die Übernahme der Kosten zu einem Fest Eurer Wahl! Wollt Ihr das Angebot annehmen?«
Ich schaue ihm einen Moment in seine wässrigen Schweinsäuglein, pfeife ein wenig vor mich hin, nicke schließlich zum Zeichen meines Einverständnisses und sage: »Zuerst die Rasur!«

Venedig, 22. April 1649, abends

L
a mattina una messetta, la podisnar una bassetta, e la sera una donnetta! Morgens eine kleine Messe, nachmittags ein Spielchen und abends ein Mädchen!«, hallen mir die Worte des pfiffigen Barbiere Felice in den Ohren. Die unausgesprochenen Nöte des einen und die Geschwätzigkeit des anderen lenkten unsere Gespräche über einige Umwege bald auf die »Häuser der Duldung« mit ihren rund um das Mittelmeer berühmten Kurtisanen.
Während Felice mir mit flinken Bewegungen seiner kleinen Hände den Bart zurechtstutzt, preist er das vornehme Castelletto, das nach seinen Worten in ganz Europa wegen seiner blonden Schönheiten und ihrer Zauberkünste berühmt ist. »Wollt Ihr nicht ein venezianisches Venusfest kennen lernen? Wollt Ihr nicht erfahren, wie es ist, wenn das schlechte Gewissen vom Genuss der Sünde hinweggespült wird - mit einem Akt der Hingabe aller an alle? Dort wo auf den Wangen der Schönen Lilie und Rose um den Vorrang wetteifern? Nur die vornehmsten Gäste werden dort eingelassen. Meine Empfehlung kann Euch Einlass verschaffen. Wollt Ihr wenigstens hineinschauen? Ihr werdet es nicht bereuen - auch nicht im Beichtstuhl!«
Schon in den Mittagsstunden ließ mich der Kitzel der Wollust von weicher Haut, Frivolem und angenehmen Düften träumen. Gedanken und Erwartungen an die bevorstehende Nacht überschütteten mich in den folgenden Stunden mit immer wohligeren Schauern. Es ist die lange Abstinenz vom Weibe, die mein Inneres so aufwühlte.
Ich fühlte mich zurückversetzt in meine Jugendzeit, als ich die Begierden der Sechzehnjährigen teilte und noch unschuldig war. Ein feuriges Erlebnis in Sevilla tritt vor mein Auge. Die edlen Nachbarn hatten in ihrem Haushalt eine frische, dralle, braunhäutige Zofe, deren ebenmäßiges Gesicht ich zwar mochte, die ich aber kaum beachtete, da ich sie für töricht hielt. Doch es war nur das Gerede. Sie war alles andere als dumm.
Es geschah an einem feuchtwarmen Nachmittag im Frühling, in den blühenden, schattigen Auen des Guadalquivir. Für mich waren jene wie die Urwälder in der fernen Neuen Welt, von denen die Seeleute im Hafenviertel so oft erzählten. Die Luft flirrte, und ich hatte damals eine immer quälendere Sehnsucht nach Mercedes entwickelt, einem hübschen, grazilen Mädchen in unserer Straße. Ich träumte einfach, jenes würde den Spuren zu meinen geheimen Plätzen in den Auen folgen. Doch gerade als ich mich nach einem knackenden Geräusch umdrehte, sah ich anstelle der erträumten Mercedes plötzlich die Zofe auf mich zulaufen. Sie griff mir in meine langen Haare und sagte einfach: »Komm!«
Die Sklavin zog mich fort, und ehe ich mich versah, befanden wir uns an einem meiner Lieblingsplätze. Ich wurde auf einmal zu einem neugierigen Beobachter. Das Geschehen war mir fremd. Nur die Stille an diesem Ort war das Vertraute. Sie drehte sich anmutig auf ihren bloßen Füßen, und ich sah ihr schweigend zu, wie sie ihr Hemd und ihren Rock abstreifte und schließlich nackt vor mir stand. Von weitem hörte ich den Klang der Glocken der Giralda, als ob sie den Moment meiner Verführung feierlich einläuten wollten. Was dann folgte, unterschied sich wohl nicht von den Empfindungen, die mir seitdem angenehm vertraut sind. Doch es prägte sich mir so überwältigend ein wie nichts danach. Bisweilen taucht diese Erinnerung auf, und ich spüre jenen sanften Griff in meinem Haar. Dann höre ich auch dieses einzige Wort, das sie damals zu mir sprach, und es hat etwas Beglückendes, daran zu denken.
Das liegt weit zurück. Doch nun holt mich hier auf dem Canale Grande, auf der Grenze von Wasser und Land, eine Wirklichkeit ein, die ich Monate lang entbehrte. Genauso innig, wie sich der schwarze Rumpf meiner Gondel der Natur dieser Stadt anpasst, so weich schmiegen sich die Kissen der engen Felze an mich. Ich lasse mich vom Markusplatz zur Rialto rudern, da ich im Dämmerlicht der heraufziehenden Nacht die Paläste am Wasser betrachten will. Zwischen Bronze- und dunklem Efeugrün schimmert das sich ständig farblich verändernde Gewässer. Grün ist für mich die variabelste Farbe. Schon ein Hauch von Blau verwandelt Gelb in Grün; dagegen kann Grün alle Farben enthalten, Braun, Rot, Weiß und Schwarz - es wird immer noch Grün bleiben. Grün ist für mich die Farbe des Lebens im Gegensatz zu der Farbe Braun, der Farbe des Welken, Dürren und Abgestorbenen. Grün ist die Farbe des einsetzenden Frühlings - die Zeit der Fruchtbarkeit.
Das Ziel meiner angemieteten Gondel ist ein kleines Haus an einem Seitenkanal nahe dem Campo San Angelo, das den Namen Casa di Desdemona trägt. Meine Wahl fiel auf dieses und nicht auf das Castelletto am Ende der Rialtobrücke, das mir Felice angepriesen hatte.
Nein, ich wollte nicht dorthin, wo sich alle reichen Fremden Venedigs für bestimmte Stunden einfinden. Ich wollte einen weniger öffentlichen Ort und nicht das rohe Geschäft mit Allerweltsdirnen. Ich war neugierig auf die vielberufene hohe Liebeskunst von wohlerzogenen Damen, wie diese über Generationen von Venedig berichtet worden war. Vielleicht wollte ich auch eine Nachfolgerin der berühmten Veronica Franca treffen, deren Gedichte und Briefe gedruckt worden waren. Der Zufall wollte es, dass ich während meines Aufenthalts bei Felice das Gespräch zweier Männer, eines Polen und eines Engländers, mithören konnte, die sich in ähnlicher Absicht wie ich kundig gemacht hatten. Dabei genoss ich die in artigem Humanistenlatein ausgetauschten Beschreibungen der kunstvoll eingerichteten Sirenenherberge und ihrer über alles gelobten Bewohnerinnen so sehr, dass ich diese selbst zu erkunden beschloss.
Die Gondel gleitet zwischen zwei Dalben und kommt an einem Wassertor zum Stehen. Ich schäle mich aus der Felze, blicke die Fassade empor und lasse mich von der romantischen schmalen Frontseite und von den entzückend kleinen Balkonen begeistern. Kunstvolle Ornamente zieren das hängende Maßwerk. Kerzenschein erhellt festlich die Räumlichkeiten hinter den traditionellen Kielbogenfenstern.
»Casa di Desdemona!«, vernehme ich das überflüssige Krächzen des Gondoliere, der mir deutlich seine offene Hand hinhält. Ich entlohne ihn großzügig, während sich das Wassertor öffnet und den Blick auf eine in Blau und Gold gehaltene Flügeltür freigibt. Es sind die Farben der gotischen Flügelaltäre. Es sind nicht nur dieselben kostbaren Pigmente, sondern auch die Farben des Himmels. Eine bessere Kennzeichnung hätte man diesem Ort nicht geben können, geht es mir durch den Kopf.
Ich trete ein und werde im Portego würdevoll von Donna Margarita Emiliana auf Spanisch willkommen geheißen. Sie ist die dritte Trägerin dieses Namens, den sie auf ihre im selben Gewerbe berühmte Großmutter zurückführt. Sie ist eine voll erblühte Frau, die sich mit Grazie bewegt und deren Arme und Wangen die glatte Haut der Jugend noch nicht eingebüßt haben. Der Putz, den sie auf ihrer wohlgeformten Gestalt trägt, lässt für den ersten Moment meine Stimme verstummen, während ihr Lächeln sagt: Ich weiß, wohin das alles führen wird, und du, Diego, wirst Wundervolles empfinden. Jedenfalls wird sich deine Vernunft im Handumdrehen in Leidenschaft verwandeln.
Zart und rätselhaft, selbstverliebt und zugleich ironisch wirkt die Hohe Priesterin des Liebestempels auf mich. Natürlich hat das Lächeln, das diese Circe huldvoll verschenkt, seinen Preis. In einem vergoldeten Rähmchen bemerke ich eine von zarter Hand geschriebene Preisliste: Geldbeträge, die Adelige und andere, die der Gunst der Damen teilhaftig zu werden wünschen, zu entrichten haben, lese ich da. Daraufhin folgt eine Aufstellung von Namen der Kurtisanen, gefolgt von ihren poetischen Ehrennamen, die aus berühmten Dichtungen und Schauspielen stammen. Über den Namen einiger Weniger ist ein Krönchen aufgemalt, was nach Felices Auskunft diejenigen auszeichnet, die im jüngsten gedruckten Katalog von Venedigs Venus-Dienerinnen aufgeführt sind.(wird fortgesetzt)

Artikel vom 31.03.2005