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Der Herzog hat seine Verhandlungspartner rücksichtslos in eine Klemme gebracht«, erwidert die Marquesa erbost. »Aber er hat einen Haufen Schwerbewaffneter um sich. Jemand Ungeschütztes wie Sie würde von den Agenten bis auf den letzten Hemdknopf ausgeraubt und erdolcht. Der Canale Orfano würde Ihr nasses Grab werden.«
»Danke, Marquesa, für diesen grandiosen Ausblick«, antworte ich lachend. »Wenn ich meine Folgerung aus dem Gesagten ziehe, dann kann ich ohne Brutalität und Lebensgefahr nicht die Mauer des Schweigens durchbrechen und etwas Wertvolles erstehen. Biete ich dagegen unmoralisch viel Geld, dann kann ich das eine oder andere von irgendeinem verschuldeten Besitzer erwerben, aber ich brauche meinem König nicht mehr unter die Augen zu treten. Heißt das, dass der Hofbeamte Velázquez, der klug und bedächtig handeln will, am besten den Rückweg nach Spanien antritt?«
Der Marqués richtet sich mühsam in seinem Sessel auf und sieht mich ernst an: »Ich denke, ich muss ein deutliches Wort sprechen, lieber Freund! Die großen Werke gibt es durchaus, die Sie erwerben können. Niemand kann besser deren Wert erkennen als Sie. Und Sie sollen auswählen, was für den König gekauft werden soll.«
»Aber wer hilft mir beim Erwerb É?«
»Sie irren, wenn Sie meinen, Sie können solche Erwerbungen im Vorbeireiten tätigen. Oft dauert es lange, bis ein günstiger Moment gekommen ist. Die Verkaufswilligen vertrauen sich selbst dann nur wenigen an. Oft wollen sie einfach nicht nach außen in Erscheinung treten.«
»Und wie komme ich zum Zuge?«, frage ich.
»Hofleute wie Sie und ich sind nicht geeignet, Schätze aufzuspüren, Besitzer im richtigen Moment zum Verkauf zu überreden und Preise zu verhandeln É«
»Sag doch gleich, jemand sollte sein Ohr bei Fremden an die Wand legen, um herauszufinden, wann sich dort der Nagel lockert, an dem ein wundervolles Bild hängt. Außerdem sollte derjenige Zeit mitbringen, um Erbschaftsstreitigkeiten, Fehlspekulationen und politische Abenteuer auszuspionieren, die einen Besitzer veranlassen könnten, seine wertvollste Habe zu versilbern«, sprudelt es geradezu aus der Marquesa hervor.
»Und kennen Sie geeignete Leute, die das können?«
»Natürlich! Sie kennt alle«, meint de la Fuente mit einem hintergründigen Lächeln. »Nicht nur Maler oder Gelegenheitsvermittler, nein, es sind wahre Künstler im Aushorchen, Anbieten, Warten, Verhandeln und Überlisten von Kaufleuten und Geistlichen gleichermaßen.«
»Das sind ja seltene Begabungen. Können Sie mich mit einem solchen Talent zusammenbringen?«, frage ich die Dame des Hauses.
»Gern. Der Herr, den ich gelegentlich schon empfohlen habe, ist immer willfährig.«
»Gut, einverstanden! Lassen Sie nach ihm schicken«, willige ich ein.
»Mein Freund, das wird kein einfacher Spaziergang«, hebt der Gesandte seinen Zeigefinger. »Dieser Mann hat den Kopf eines Verrückten, und seine Zunge ist glatt wie eine Klinge.«

Venedig, 22. April 1649

B
arbiere Felice«, stellt sich der kleine, beleibte Mann vor, der im morgendlichen Sonnenschein auf dem Platz vor dem Palazzo, dem Fontamenta Cannaregio, auf mich gewartet hat. Ist das nun der Agent, der nach Meinung der Marquesa all das bewegen soll, was mir nicht gelingt? Sein glattes, rundes Gesicht ist nur durch ein schwarzes Lippenbärtchen und zwei quicklebendige schwarze Augen markant unterbrochen. Gerahmt ist es von glattem schwarzem Haar, das bereits eine mächtige Tonsur freigibt. Wenn der lebensfroh wirkende Zauberer schweigt, sehen seine Bäckchen aus, als ob der Mund mit Speisen voll gestopft wäre.
»Ich danke für Euer Vertrauen, Cavaliere Velázquez. Die Marquesa hat mir von Euch berichtet. Es ist mir eine Ehre, einem so berühmten und hohen Herrn meine Dienste anbieten zu dürfen.«
»Der Dank gebührt Ihnen, Signore Felice, vor allem, dass Sie so früh hierher gekommen sind.«
»Ich habe eine Stunde abgezweigt. Derweil sind meine Gehilfen damit beschäftigt, die Schüsseln zu polieren, Messer und Scheren zu schleifen und einen duftenden crema da barba herzustellen. Mein Laden wird sich inzwischen mit Kundschaft füllen, während mein ältester Sohn sie nach ihren Wünschen befragen wird.«
»Das klingt interessant. Was für einen Laden führen Sie?«
»Ach, das wisst Ihr nicht? Ich bin barbiere. Kaum einer, der mich in Venedig nicht kennt. Mein Laden liegt nicht fern vom Rialto, gleich hinter der Fischhalle.«
»Interessant! Kann ich Ihren Laden besichtigen?«
»Gern! Bleiben wir doch gleich auf dieser Seite. Dann liegen die von der Morgensonne angeleuchteten Fassaden immer in unserem Blickfeld. Am besten gehen wir hinter San Geremia über den Cannaregio!«, ermuntert mich der Pausbäckige.
»Wurden Sie bereits darüber unterrichtet, dass ich die edelsten und wertvollsten Bilder für meinen Souverän suche?«
»Ja, gestern Nacht noch.«
»Gut. Allerdings möchte ich nur etwas genannt bekommen, was nicht bereits anderen angeboten worden ist«, beginne ich ihn auszuloten.
Er lächelt mich mit wissender Miene an: »Ich verstehe sehr genau, was meine anspruchsvollen Auftraggeber wollen. Verlasst Euch darauf, ich werde meine besten Kontakte für Euch nutzen.«
»Wie soll ich mir Ihre Kontakte vorstellen? Auf keinen Fall dürfen Unwürdige über die Wünsche meines Königs ins Vertrauen gezogen werden!«
»Ich kann Euch beruhigen. Oder denkt Ihr, dass ich mit meinen Kunden so etwas berede, während ich ihre Fingernägel schneide, ihre Haare frisiere oder ihren Bart stutze?«, erwidert er in einem Ton, als wäre er über mein Ansinnen beleidigt. »Ich kann in Venezianisch, in Spanisch und Französisch schweigen!«
»Erzählen Sie mir, wie Sie Ihre Informationen erhalten!«, versuche ich ihn aus der Reserve zu locken.
»Ich weiß, wer etwas wissen könnte, und stelle beiläufig Fragen über die Gesundheit oder die Erbschaften bei irgendwelchen Familien, über die man hier spricht. So lasse ich mir berichten, wenn große Dinge anstehen. Ich rasiere die Verwalter von Klosterbesitzungen und Spitälern, die Prokuratoren von Bruderschaften, einige geistliche Herren, mehrere Baumeister, Maler, Tischler und Vergolder, die in die großen Häuser kommen, und hin und wieder bediene ich auch Mitglieder der wichtigen Familien in ihren Privatgemächern. Und jeder weiß, dass ein guter Hinweis von mir großzügig honoriert wird.«
»Aber wie gehen Sie den zufälligen und unsicheren Informationen nach? Wie wird daraus eine Verhandlung über einen Bilderkauf? Sie können sich doch nicht bei den Erben eines verstorbenen Dogen melden und sagen, Sie möchten ihnen gern einige Tintorettos abkaufen.«
»Dafür habe ich meine besonderen Freunde. Mit denen treffe ich mich zum Kartenspiel oder einfach nur zum Essen. Lieben Sie auch gutes Essen?«
»Es kann nicht gut genug sein, vor allem liebe ich den Wein! Aber wie bei Weinhändlern muss man bei Kunstverkäufern wissen, dass die Ware echt und nicht gepanscht ist. Da können Sie ja nicht mit allen Ihren Malerfreunden aufkreuzen.«
»Das nicht, aber ich kann die Dokumente prüfen lassen und die besten Malerfreunde für ihr Urteil honorieren. Das kann diskret geschehen. Die verraten mir dann schon, dass das wunderbare Markusaltarbild bei den Augustinern von Santo Spirito in Isola von dem Tiziano Vecellio ist, den Ihr verehrt, aber das ähnlich signierte Gemälde in San Pietro di Castello dagegen nur von dem so genannten Tizianello.«
»Der etwa hundert Jahre jünger ist«, werfe ich ein.
»Ja! Von dessen Vater Marco Vecellio ist übrigens ein liebliches Verkündigungsbild bei mir um die Ecke, in San Giacomo di Rialto. Wenn man die klugen Leute oft genug und besonders glatt rasiert, kitzelt ein guter Barbiere wie ich sogar so etwas heraus.«
Ganz schön ausgekocht, denke ich. Dabei serviert er seine erstaunlich guten Kenntnisse auf eine geschickte Art. »Wie überprüfen Sie, dass Ihre Freunde absolut diskret mit Ihren Hinweisen auf Kaufinteressenten umgehen?«, bohre ich weiter.
»Durch lange Erfahrung und genaue Informationen. Ich prüfe, ob sie sich an ihre Zusagen gehalten haben. Anders geht es nicht«, sagt er schmunzelnd und blickt wie ein rosa Schweinchen zu mir hoch.
Als ich versuche, in gleicher Art zurückzuschmunzeln, fährt er fort: »Es ist genauso wie bei den Versprechungen anderer Leute. Zum Beispiel eines Wirts für sein Fleisch oder seinen teuren Wein.«
»Gestattet mir die Frage: Was für Freunde sind das, denen das Wissen über die Wünsche meines Souveräns anvertraut wird?«
»Die Nennung des Auftraggebers ist gar nicht notwendig. Man muss nicht jedermann darüber in Kenntnis setzen, dass ein Fürst dahinter steht. Nur in wichtigen Fällen und Momenten. Es reicht, wenn ich sage, dass ich einen wichtigen Abnehmer weiß und ich den Auftrag angemessen bis großzügig bezahlen kann.«
»Könnt Ihr mir Namen nennen? Ich denke an die wichtigen Fälle É«
»Nun, da wäre Paolo de Sera, der Agent der Medici, mit dem ich vielfach zusammenarbeite, aber ich bin auch auf gutem Fuße mit dem Hebräer Ventura Salomon, einem angesehenen Geschäftsmann, der an viele hiesige Klöster Geld verliehen hat. Glaubt mir, wir vertrauen einander, aber hüten unser Wissen untereinander besser als mancher Beichtvater.«
»Und wie stellen Sie sich die Beauftragung durch mich vor?« (wird fortgesetzt)

Artikel vom 30.03.2005