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Dealer betrieben Marktforschung

Bielefeld gezielt ausgesucht - Gebürtige Russen stehen vor Landgericht

Bielefeld (uko). Eine Art »Marktforschung« haben zwei Dealer aus Lüdenscheid betrieben und danach Bielefeld als ihren Absatzort für harte Drogen ausgesucht. Seit Montag steht einer der gebürtigen Russen vor dem Landgericht. Nach dem bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung muss der 42-jährige Mann mit einer langjährigen Freiheitsstrafe rechnen.

Ein Auszug der Anklageschrift von Staatsanwalt Martin Temmen ließt sich mit erschreckender Klarheit: Wladimir S. und sein Komplize Fedor E. hätten sich Bielefeld als Dealort ausgesucht, »weil sich in der Innenstadt viele Drogenabhängige aufhalten«. S. und E., gegen den das Landgericht Bielefeld in der kommenden Woche separat verhandeln wird, wohnten bis zum Sommer des vergangenen Jahres in Lüdenscheid. Beide sind in Russland geboren, beherrschen zwar die deutsche Sprache nur mangelhaft, haben aber bereits die deutsche Staatsbürgerschaft.
Nachdem ihre Wahl zum Verkauf von Heroin und Kokain auf Bielefeld gefallen war, fuhren die beiden Männer im Juni 2004 erstmals nach Rotterdam, um Rauschgift zu kaufen. Bei der ersten illegalen Einfuhr transportierten sie 42 Gramm Kokain und 133 Gramm Heroin schwarz über die Grenze.
Abgepackt wurden die Drogen dann in Verkaufseinheiten bis zu fünf Gramm. Fedor E. besorgte den Straßenverkauf, allerdings hatte er nach Ansicht des Staatsanwalts keine Entscheidungsbefugnis. Der Boss der Bande war Wladimir S. Die Junkies wurden gezielt angesprochen. Die Abhängigen erhielten Nummern von Funktelefonen, über die die benötigte Menge Rauschgift bestellt werden konnte. Geld und Drogen wurden zumeist im Bereich der Herforder Straße und in Milse in der Nähe der Straßenbahnendhaltestelle gewechselt.
Es folgten bis zum Herbst des Jahres 2004 noch drei weitere Kurierfahrten, an denen S. und E. gleichermaßen beteiligt waren. Zur Sicherung der Transporte wurden jedoch auch die Ehefrauen und kleine Kinder mitgenommen. Insgesamt wurden während der folgende Fahrten noch weitere 668 Gramm Kokain und 1 240 Gramm Heroin eingeführt und nahezu vollständig an Bielefelder Junkies verkauft.
Zum Prozessauftakt bat Wladimir S. gestern um eine Beratung über eine Strafobergrenze, sofern er ein Geständnis ablege. Nach Vorstellung der 2. Großen Strafkammer müsste der gebürtige Russe in einem solchen Fall mit fast sechs Jahren Haft rechnen. Martin Temmen kündigte indes an, mindestens sieben Jahre Haft zu fordern, wenn S. nicht geständig sei. Die Aussage des Angeklagten war daraufhin sehr widersprüchlich. Der Mann will demnach nicht Kopf der Drogenbande gewesen sein. Er habe nicht soviel Rauschgift eingeführt, im übrigen sei er selbst seit 18 Jahren rauschgiftabhängig. Er konsumiere regelmäßig Haschisch.
Eine Untersuchung des Angeklagten, ein so genanntes Drogenscreening, hatte bei ihm indes keinerlei Konsum von Drogen erbracht. Wladimir S. war im Herbst letzten Jahres nach Hinweis einer Rauschgift-Prostituierten festgenommen worden. Die Polizei hatte nach dem Tip die Telefone der beiden Dealer überwacht. - Der Prozess wird fortgesetzt.

Artikel vom 22.03.2005