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Eingriff in die nationale Souveränität

Fachleute äußern Bedenken - Zielsetzungen des EU-Haftbefehls

Von Rolf Dressler
Bielefeld (WB). Der sogenannte EU-Haftbefehl stellt nach Einschätzung rechtskundiger Fachleute einen schwerwiegenden Eingriff in Rechtsordnung und Strafverfolgung und damit in die nationale Souveränität der EU-Mitgliedsländer dar. Etwas Vergleichbares habe es so noch nie zuvor gegeben.

Was vom Europäischen Rat am 13. Juni 2002 beschlossen wurde, gilt seit August 2004 verbindlich auch für das »EU-Rechtsgebiet« Deutschland. Die von von den Regierungen, nicht aber von den Wahlbürgern eingesetzten Führungsfunktionäre der Brüsseler Großbürokratie, meinen zahlreiche Kritiker im In- und Ausland, bestimmten somit nun fast un- eingeschränkt das Gesetz des Handelns auf diesem elementar wichtigen Feld.
Zwar hatte die rot-grüne deutsche Regierung zunächst noch verhaltene Bedenken dagegen geäußert, dass bestimmte Tatbestände in dem einen EU-Mitgliedsland unter Strafe stehen, während sie in einem anderen Land sogar als ausdrückliches Grundrecht von der Verfassung geschützt seien - wie vor allem auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit.
Dennoch rechtfertigte die deutsche Regierung ihr Ja zu dem Instrument des EU-Haftbefehls letztlich genauso pauschal verharmlosend wie zuvor schon ihre Zustimmung zu dem Schengener Abkommen über die offenen Grenzen innerhalb der Europäischen Union: Die EU müsse zu einem Gemeinschafts-»Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« umgestaltet werden.
Dazu im folgenden die tatsächlich erheblich weiter reichenden Zielsetzungen des sogenannten EU-Haftbefehls:

Auslieferung: »Die Ausschreibung zur Festnahme zwecks Auslieferung nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen ... gilt als Europäischer Haftbefehl.«

Neues Verfahren: »Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates fordern ... die EU-Mitgliedsstaaten auf, das bisherige Auslieferungsverfahren durch ein vereinfachtes System der 'Überstellung' zu ersetzen.«

Keine Gegenprüfung: »Die beiderseitige Strafbarkeit in Auslieferungsverfahren wird ... zwar beibehalten. Jedoch ist diese für eine Reihe von Straftaten, die ... in einer Positivliste aufgezählt sind, nicht mehr zu prüfen.«

Auslieferung eigener Staatsbürger: »Die EU-Mitgliedsstaaten (sind) verpflichtet, eigene Staatsangehörige zum Zwecke der Strafverfolgung an einen anderen Mitgliedsstaat auszuliefern. Die Auslieferung kann ... an die Bedingung geknüpft werden, den Verfolgten nach rechtskräftiger Verurteilung zur Strafvollstreckung an den Heimatstaat zurückzuüberstellen. Dies dient der Resozialisierung.«

Kein Widerspruchsrecht: »Im Bereich der internationalen strafrechtlichen Angelegenheiten (sind) keine Rechtsmittel gegen Bewilligungsentscheidungen möglich.«

Tempo vor Recht: »Der Wegfall der Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung ist zur Verfahrensbeschleunigung und damit zur Umsetzung der Fristenregelungen ... unverzichtbar ... Ohne sie würde die Verpflichtung zur schnellstmöglichen Erledigung eingehender Aus- oder Durchlieferungsersuchen praktisch scheitern.«

(Quellen: Deutscher Bundestag, Bundesregierung)

Artikel vom 23.03.2005