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Leitartikel
EU-Beitrittsgespräche

Mit Kroatien
den Falschen
ausgesucht


Von Dirk Schröder
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind Mindestvoraussetzungen, um in die Gemeinschaft der Europäer aufgenommen zu werden. Und niemand hat etwas dagegen, wenn den Beitrittskandidaten deutlich gemacht wird, dass es einen Automatismus nicht geben kann. So weit, so gut.
In diesen Tagen sahen sich die EU-Außenminister wieder einmal bemüßigt, dies einem Möchtegern-Mitglied deutlich zu machen. In der Vergangenheit hat es die EU versäumt, diese Prinzipien-Elle bei dem einen oder anderen Land in der gebotenen Strenge anzuwenden. Nun aber treffen diese Prinzipien Kroatien mit der Verschiebung der Beitrittsverhandlungen wie ein Keulenschlag - und das völlig zu Unrecht.
Denn wenn hier ein Signal an die anderen nach Europa strebenden Balkan-Staaten gesetzt werden sollte, hat man sich mit Kroatien den Falschen ausgesucht. Es gibt kein anderes Land auf dem Balkan, mit dem die Zusammenarbeit so gut klappt. Kein anderes Land ist auf dem Weg zur Demokratie so weit fortgeschritten.
Wenn dennoch ein Exempel statuiert wird, dann muss noch etwas anderes dahinter stecken. Hat es vielleicht etwas damit zu tun, dass sich Kroatien 1991 sehr zum Missfallen der Freunde Serbiens - zu denen unter anderem Frankreich gehörte - von Jugoslawien lossagte? Soll das Land etwa 14 Jahre danach dafür noch einmal »bestraft« werden?
Es ist in Ordnung, die Hürden für Beitrittsverhandlungen hoch zu setzen. Da war man bisher manchmal zu lasch. Doch gerade der Fall Kroatien entlarvt die EU-Gewaltigen auf erschreckende Weise. Wenn es wirklich um die fundamentalen Prinzipien geht: Die Türkei hätte überhaupt noch keinen Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen bekommen dürfen. Zumindest aber im gleichen Atemzug mit der Absage an Kroatien hätte auch der Oktober-Termin für die Türkei verschoben werden müssen.
Nun jedoch wird überdeutlich, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Allen voran der Kanzler. Erst Dienstag stellte er fest, in der Türkei habe es keinerlei Fortschritte bei den angekündigten Reformen gegeben. Dennoch macht er keinerlei Anstalten, über eine Verschiebung auch nur nachzudenken.
Der Termin steht - basta. Was interessiert es mich, dass weiterhin systematisch gefoltert wird, die Zahl sich eher noch erhöht hat? Was interessieren mich die Razzien gegen Publikationsorgane und das Verbot von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen? Am 2. Oktober wird verhandelt.
Bei derartigem Rückhalt verwundert es nicht, dass der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Kroatien-Beschluss der EU kein Warnsignal für sein Land sieht.
Doch so ganz kann sich Erdogan nicht in Sicherheit wiegen. Im Europaparlament findet ein Umdenken statt, und auch in der SPD gibt es zunehmend kritische Stimmen. Es muss Schluss sein mit der Doppelmoral.

Artikel vom 24.03.2005