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EU-Finanzminister beschwören
mit der Reform neue Einigkeit

Kosten der Einheit bei Bewertung des deutschen Defizits berücksichtigt

Von Alexander Ratz
Brüssel (AP) Kurz vor Mitternacht brach es aus Jean-Claude Juncker heraus. In einer »Blut-Schweiß-und-Tränen«-Rede wandte sich der Ratsvorsitzende an die EU-Finanzminister und beschwor einen »neuen Geist der Einheit«. Sicher, die Reform sei geglückt. Jetzt gehe es aber darum, »gemeinsam zusammenzustehen und ein neues Kapitel aufzuschlagen«.

Nur so könne der Eindruck verhindert werden, der Euro-Stabilitätspakt sei aufgeweicht worden. Die Minister applaudierten Juncker. Und sogar der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, habe sich den Äußerungen angeschlossen.
Zwölf Stunden hatte die Runde bis dahin schon zusammengesessen. Und irgendwann war klar, dass sich der deutsche Finanzminister Hans Eichel auf ganzer Linie durchsetzen würde. Vor allem erreichte er, dass die Kosten der Einheit bei der Bewertung des deutschen Defizits berücksichtigt werden.
Dies hatte der österreichische Finanzminister Karl-Heinz Grasser Stunden zuvor noch als »Treppenwitz der Geschichte« bezeichnet. Dann aber musste auch der Hardliner aus Wien einsehen, dass er keine Chance hatte. Die Entscheidung war zuvor an anderer Stelle gefallen. Aus österreichischen Quellen hieß es, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel habe Grasser telefonisch zu verstehen gegeben, dass der Minister seinen Widerstand aufgeben müsse. Dass eine Einigung an Österreich scheitere, sei nach dem Treffen Schüssels mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder am Freitag in Wien ausgeschlossen.
Das Staunen war entsprechend groß, dass die Einigung relativ schnell kam und so ganz im Sinne Deutschlands ausfiel. »Sie sehen einen ausgesprochen zufriedenen Finanzminister vor sich«, sagte Eichel ungewohnt fröhlich, als alles vorbei war.
Eichel sprach von einem »neuen Start«. Die »Glaubwürdigkeit Europas« hänge daran, dass sich die Minister, die EU-Kommission und auch die EZB künftig einig seien. Eichel weiß, wovon er spricht. In den letzten drei Jahren hat der Minister in Brüssel lange Gefechte ausgetragen, persönliche Enttäuschungen eingesteckt, sich nach hartem Ringen aber dann meist doch durchgesetzt.
Das Ringen soll es jetzt nicht mehr geben. Doch den Beweis dafür müssen die Finanzminister erst noch antreten. Insofern liegt die entscheidende Arbeit noch vor ihnen. Fakt ist, dass das Defizitkriterium von 3,0 Prozent aufgeweicht wurde.
Wenn die Neuverschuldung eines Landes künftig über die Drei-Prozent-Marke rutscht, ist die Einleitung eines Defizitverfahrens eher unwahrscheinlich. Die Kriterien, die zur Bewertung der Neuverschuldung berücksichtigt werden können, sind derart weit gefasst, dass sich wohl jeder Defizitsünder einen eigenen Katalog zusammenstellen kann. Einzige Einschränkung ist, dass die Neuverschuldung vorübergehend sein muss und nicht deutlich über den drei Prozent liegen darf.
Beziffert wurde dies aber nicht, was weiteren Raum für Interpretationen lässt. Die Herausforderung für EU-Kommission und Ministerrat wird künftig darin liegen, die vorgebrachten »besonderen Umstände« objektiv zu bewerten und im Zweifelsfall den politischen Mut aufzubringen, die Kriterien nicht anzuerkennen und ein Strafverfahren gegen den Willen des Defizitsünders einzuleiten. Nur so kann die Glaubwürdigkeit des Paktes wieder hergestellt werden.
Der Fall Italien wird hier die erste Bewährungsprobe sein. Zum einen scheint Rom die Defizitgrenze bereits zwei Mal gebrochen zu haben, hat dies in seiner Haushaltsstatistik aber nicht korrekt ausgeführt. Zum anderen neigt Ministerpräsident Silvio Berlusconi dazu, Steuergeschenke an seine Wähler zu verteilen, obwohl dies das Budget nicht zulässt.
Bestätigt sich, dass Italien gegen den Pakt verstoßen hat, ohne dass die Regierung in Rom die jetzt definierten »besonderen Umstände« für sich in Anspruch nehmen kann, müssen die Minister Härte zeigen. Eichel indes kann zunächst beruhigt in die Zukunft blicken. Denn selbst wenn Deutschland in diesem Jahr erneut gegen die Drei-Prozent-Marke verstößt, hat der Minister genügend Kriterien im Gepäck, die ihm dies gestatten, vorausgesetzt das Ausmaß des Defizits hält sich in Grenzen.
Die Kosten der Einheit kann er zwar nicht herausrechnen, sie werden aber als »besonderer Umstand« anerkannt. Nach der Einigung betonte der Minister: »Es geht doch nicht darum, dass wir die Lizenz zum Schuldenmachen haben wollen.« An diesen Worten wird er sich wohl messen lassen müssen.

Artikel vom 22.03.2005